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Aktien für die nächste Krise 09.03.2013 03:00:00

DAX & Co: Welche Titel noch Gewinnsteigerungen schaffen

von S. Bauer und S. Parplies, Euro am Sonntag

Ralf W. Dieter ist so ziemlich das exakte Gegenteil von Silvio Berlusconi. Statt mit schlüpfrigen Skandalen macht der stets korrekte Badener mit einer nachhaltigen Erfolgsgeschichte von sich reden. Unter Dieters Führung hat der Maschinenbauer Dürr seinen Börsenwert innerhalb von knapp vier Jahren verzehnfacht. Auch als das politische Comeback des an den Finanzmärkten verhassten Berlusconi in dieser Woche weltweit Panikattacken unter Anlegern auslöste, wackelte der Kurs der Dürr-Aktie kaum.

Dürr profitiert vom globalen Boom der Automobilindustrie. Große europäische Autohersteller wie BMW, Daimler oder Volkswagen rüsten ihre Werke mit Lackierstraßen der neuesten Generation aus, um schneller produzieren zu können. Die Nachfrage ist hoch und dürfte hoch bleiben. Experten rechnen auch für 2013 mit einem Anstieg der Neuzulassungen im Reich der Mitte um etwa sieben Prozent auf über 20 Millionen Fahrzeuge.


Dürr-Chef Ralf W. Dieter
Gut für Dürr: Auftragseingang und Cashflow aus dem operativen Geschäft steigen. Der Umsatz kletterte im vergangenen Jahr um 25 Prozent, das Nachsteuerergebnis um über 70 Prozent. Mehrmals hat es Dürr geschafft, Experten positiv zu überraschen. „Wir waren zu vorsichtig mit unseren Schätzungen. Die Dynamik ist höher und nachhaltiger, als wir ursprünglich angenommen hatten“, sagt Christoph Schlienkamp vom Bankhaus Lampe. Anderen Analysten ging es ähnlich: Zu ­Beginn des vergangenen Jahres lag die Konsensschätzung, also der Durchschnitt aller Analystenpro­g­nosen, für Dürrs Konzernergebnis 2012 bei 4,20 Euro je Aktie. Es wurden schließlich 6,20 Euro.

Die Erfolgsgeschichte steht für eine ganze Reihe deutscher Mittelständler, deren Gewinne zuletzt erstaunlich rasch anwuchsen. Deshalb sind auch die Aktienkurse insbesondere von Mitgliedern aus den Nebenwerteindizes teilweise fulminant gestiegen. Über die vergangenen drei Monate hat etwa der MDAX 21 Prozent an Wert gewonnen, der SDAX sogar 23 Prozent. Der DAX als Index der Schwergewichte liegt immerhin elf Prozent im Plus.

Raus aus dem Risiko
Und jetzt? Nicht nur auf der politischen Bühne (siehe unten), auch auf dem Börsenparkett waren die Reaktionen nach dem Berlusconi-Schock teils sehr emotional. Ist die Rally der Aktienmärkte — die steil nach oben laufenden Kurskurven können durchaus Schwindelattacken auslösen — nun am Ende?
Immerhin kommentierte etwa die Royal Bank of Scotland die Stimmung an den Finanzmärkten nach der Wahl in Italien mit dem Satz: „Die Krise ist zurück.“ Das Bedrohliche: Im Gegensatz zu Griechenland ist Italien ein wirtschaftliches Schwergewicht. Ein Zusammenbruch der drittgrößten europäischen Wirtschaft könnte das Ende des Euro bedeuten und würde sicher eine unkalkulierbare Kettenreaktion auslösen. Komplett auszuschließen ist das nicht — es ist aber auch nicht das wahrscheinlichste Szenario.

Denn anders als im Herbst 2011, als die Staatsschuldenkrise außer Kontrolle zu geraten drohte, haben die Notenbanken inzwischen das Heft in der Hand. Das Versprechen von EZB-Chef Mario Draghi, den Euro mit allen Mitteln zu verteidigen, gilt auch heute noch. „Die Europäische Zentralbank wird nicht zulassen, dass es zu einer Eurokrise 2.0 kommt. Wenn notwendig, wird sie italienische Staatsanleihen aufkaufen und damit das System künstlich stabilisieren“, sagt Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank.


Silvio Berlusconi
Dennoch dürfte der Berlusconi-Schock länger anhalten. Schon jetzt sind Anleger bei den naturgemäß mit hohen Risiken verbundenen Aktieninvestments vorsichtig. Ihre Risikobereitschaft lässt sich an Bewertungskennziffern ablesen: Auf dem Gipfel der Finanzkrise war der DAX mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von acht extrem niedrig bewertet. Anders ausgedrückt: Anleger waren bereit, für die Unternehmen des Index nur das Achtfache des erwarteten Jahresgewinns zu zahlen.

Mit steigenden Kursen ist das KGV, die bei Aktien am meisten beachtete Kennziffer, auf einen Wert von elf geklettert. Das entspricht dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre, liegt aber deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von 15. Der MDAX ist etwas höher bewertet, die Bewertungsszenarien aber sind ähnlich. Konkret bedeutet das: Damit die Aktienkurse auf breiter Basis weiter zulegen, müssten entweder die Gewinne der Unternehmen stärker als erwartet steigen — oder die Risikofreude der Anleger. Letztere dürfte aber unter dem Ausgang der Italien-Wahl leiden.

Deutschland setzt sich ab
Anleger müssen deshalb ganz genau hinschauen. Italien war zuletzt als der europaweit am niedrigsten bewertete Aktienmarkt einer der Geheimfavoriten. Die Hoffnung auf eine deutliche Erholung hat jetzt jedoch einen Dämpfer erhalten. Die faktische Lähmung der italienischen Politik hat die Renditen auf Staats­anleihen des Landes nach oben getrieben. Das trifft auch viele der dortigen Unternehmen, da sie bei der Beschaffung von Krediten in Sippenhaft genommen werden und daher schwerer an Geld kommen dürften. Die Risikoscheu dürfte auch auf anderen europäischen Krisenstaaten, etwa Spanien, überspringen.

Die Unicredit erwartet nach dem überraschenden Wahlausgang in Italien dort eine längere Phase der Verunsicherung. Diese werde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich der deutsche Aktienmarkt im laufenden Jahr besser entwickeln werde als Südeuropa.

Die Lage hierzulande ist hingegen komfortabel: „Viele Unternehmen in Kerneuropa machen weiterhin gute Geschäfte. Stimmungsindikatoren zeigen, dass das fundamentale Bild zumindest für Kerneuropa stimmt“, erklärt Kapitalmarktexperte Halver.
Aus deutscher Sicht macht vor ­allem der Ifo-Geschäftsklimaindex Mut, für den jeden Monat die Stimmungslage von etwa 7.000 Unternehmen gemessen wird. Im Februar war das Barometer ungewöhnlich deutlich gestiegen. „Mit Blick auf den künftigen Geschäftsverlauf ­breitet sich der Optimismus weiter aus. Die deutsche Wirtschaft nimmt Fahrt auf“, urteilte zuletzt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Auch in der Bevölkerung hellte sich die Stimmung auf, wie die neuesten Daten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zeigen.

Dennoch dürften die Entwicklungen in Italien auch bei deutschen Aktien Spuren hinterlassen. Gefährlich wird es für Titel, deren Kurs in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen ist, ohne dass sich die fun­damentale Situation des Unternehmens nachhaltig verbessert hat.
Air Berlin ist solch ein Fall. Die Aktie der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft hat seit Jahresbeginn in der Spitze um fast 70 Prozent zugelegt. Auf den ersten Blick gibt es tatsächlich Positives: 2012 hat das Unternehmen erstmals seit fünf Jahren schwarze Zahlen geschrieben. Das aber nur, weil Großaktionär Etihad für 184 Millionen Euro Air Berlins Vielfliegerprogramm gekauft hat. Eine nachhaltige Gewinnentwicklung scheint angesichts des harten Wettbewerbs auf dem Luftfahrtmarkt recht unwahrscheinlich.

Aktienmarktstrategen setzen im aktuellen Wirtschaftsumfeld auf zwei Trends: Gesucht werden Unternehmen, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie ihre Gewinne über mehrere Konjunktur­zyklen hinweg steigern können.

Gewinnmarathon
Zu den zuverlässigsten Firmen aus Deutschland zählt hier das Gesundheitsunternehmen Fresenius mit der Tochter Fresenius Medical Care (FMC). Fresenius hat eine heraus­ragende Marktstellung bei Nachahmermedikamenten. Diese sind gerade in Zeiten großen Spardrucks in den Gesundheitssystemen gefragt. Die Dialysetochter FMC ist weltweit die Nummer 1 bei der Dialyse. Das Unternehmen profitiert von der steigenden Lebenserwartung und der steigenden Zahl von Übergewichtigen, schließlich benötigen viele Diabetes-Patienten die lebensrettende Blutwäsche. Als einziges DAX-Mitglied hat FMC seinen Gewinn in ­jedem der vergangenen zehn Geschäftsjahre steigern können.

Wie Fresenius wird auch Adidas stark von der Expansion in Schwellenländer getrieben. Der Sportartikelkonzern schaffte es so, den Gewinn in neun der vergangenen zehn Jahre zu steigern — nach FMC die längste Erfolgsserie im DAX. Die Gesetze des Sportartikelmarkts sind überall auf der Welt ähnlich: Eine starke Marke ist alles. Das macht es Adidas relativ einfach, in die aufstrebenden Schwellenländer zu expandieren. Knapp 60 Prozent seines Umsatzes erzielt der Konzern in Asien, Latein- und Nordamerika. Dadurch kann sich Adidas von der Euro­krise abkoppeln.

Exportstarke Unternehmen sind überproportional stark in den Neben­wertesegmenten MDAX und SDAX vertreten. Zu den Aufsteigern dort gehört Kuka. Als Mischkonzern schrieb die einstige IWKA jahrelang Verluste. Der Mittelständler aus Augsburg geriet in der Finanzkrise zwar ins Schlingern, weil die Finanzlage kurzfristig arg angespannt war. Exbanker Till Reuter steuerte Kuka zurück in sicheres Fahrwasser.

Mit dem Verkauf der Verpackungssparte und der Konzentration aufs Robotergeschäft gelang der Turnaround. Wichtigster Abnehmer ist die Automobilbranche. Dort werden Roboter immer häufiger eingesetzt, weil sie inzwischen auch komplexe Aufgaben präziser und ausdauernder erfüllen als der Mensch. Wachstumspotenzial liegt vor allem in China — dort ziehen viele westliche Autokonzerne Fabriken hoch. Chef Reuter will das Unternehmen zudem stärker im margenträchtigen Industriegeschäft positionieren.

Bewertungsfallen
Erfolgsgeschichten wie Kuka sind an den Aktienmärkten indes kein Geheimnis mehr. Viele Nebenwerte sind stark gestiegen und ansprechend bewertet. €uro am Sonntag hat die Bewertungskennziffern der Top-Performer unter die Lupe genommen (siehe unten): Bei Air Berlin rät die Redaktion zu Gewinnmitnahmen. Dürr hingegen ist trotz des massiven Kursanstiegs weiterhin ein attraktives Investment. Analysten haben auch im vergangenen Monat ihre Gewinnschätzungen für Dürr noch oben geschraubt — so etwa Christoph Schlienkamp, vom Bankhaus Lampe, der die Aktie soeben in seine Liste der Top-Empfehlungen aufnahm. 

Investor-Info

Dürr
Überraschend gut

Der Maschinenbauer hat sich auf Lackier­anlagen für die Automobilindustrie spezialisiert und profitiert vom Boom in Wachstumsmärkten wie China. Die Gewinnentwicklung überraschte zuletzt regelmäßig, die Erwartungen werden kontinuierlich angehoben. Die Aktie ist trotz einer Verzehnfachung seit dem Tief im März 2009 noch nicht zu hoch bewertet. Top-Wachstumswert im MDAX.

Kuka
Volle Auftragsbücher

Kuka konzentrierte sich rechtzeitig vor dem Boom in den Emerging Markets auf den Roboterbau. Chef Till Reuter internationalisiert den Konzern, in China soll bis 2015 eine Fabrik eröffnen. Inzwischen füllen viele Aufträge aus den USA die Auftragsbücher. Langfristig will Kuka nicht nur bei Automobil-, sondern auch bei Industrierobotern führen. Ein zweistelliges Gewinnwachstum wird auch 2013 erwartet.

Adidas
Langer Atem

Höheres Gesundheitsbewusstsein in den Industrienationen, Expansion in Schwellenländer und Erweiterung des Bereichs Sportmode sind die Wachs­tums­treiber von Adidas. Analysten trauen dem Konzern im laufenden und kommenden Jahr Gewinnverbesserungen von jeweils über 15 Prozent zu. Auch die Dividende sollte kräftig steigen. Die Aktie sollte weiter zu den Topwerten im DAX gehören.

Fresenius
Stete Gewinnmaschine

Chef Ulf Schneider verlegt das Ziel, den Gewinn auf über eine Milliarde Euro zu steigern, von 2014 auf 2013 vor. Das Ergebnis soll im laufenden Jahr um sieben bis zwölf Prozent zulegen, etwas moderater als 2012. Der Konzern profitiert von der Alterung der Gesellschaften in Europa und den USA sowie vom Ausbau der Gesundheitssysteme in Asien.

Bewertung
Warten auf Impulse

Das Verhältnis von Gewinn und Kurs ist eine der wichtigsten Kennziffern für die Bewertung von ­Aktien und Indizes. Das KGV des DAX, berechnet auf Basis der Gewinnschätzungen für das laufende Jahr, notiert derzeit knapp über elf. Das liegt in etwa im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Damit hat der Index die deutliche Unterbewertung des Jahres 2011 abgebaut und ist auf aktuellem Niveau angemessen bewertet. Für nachhaltig steigende Kurse muss entweder die Gewinnschätzung steigen — oder die Risikobereitschaft der Anleger.

Acatis Aktien Deutschland
Starker deutscher Mittelstand

Streng nach den Kriterien von Superinvestor Warren Buffett investiert der Acatis Aktien Deutschland in unterbewertete deutsche Unternehmen. Dabei hat Fondsmanager Frank Lübberstedt ein besonderes Auge auf inhabergeführte Firmen aus dem Mittelstand. Viele von ihnen sind in ihrem Bereich Weltmarktführer und erwirtschaften einen großen Teil ­ihrer Umsätze im Ausland. „Weit über 50 Prozent der Unternehmen im Portfolio haben einen hohen Exportanteil“, sagt Lübberstedt. Dabei achtet er stets auch auf die Risiken: „Eine Aktie mit hohem Kurspotenzial und hohen Schwankungen wird im Fonds nie eine Topposition einnehmen.“ 

VHCP Fund
Deutsche Wertarbeit

Auch kleine, unabhängige Vermögensverwalter ­können sehr gute Fonds haben. Ein Beispiel ist der auf deutsche Nebenwerte spezialisierte Value Holdings Capital Partners Fund. Fondsberater Georg Geiger verfolgt einen klassischen Value-Stil im Sinn des Amerikaners Benjamin Graham und orientiert sich daher an Kennziffern wie dem Kurs-Buchwert-Verhältnis. Das zahlt sich aus, wie das Plus des Fonds von über 220 Prozent in den vergangenen zehn Jahren zeigt. In seinem konzentrierten Port­folio favorisiert Geiger derzeit Werte wie Schaltbau, SMT Scharf und Bauer.

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Bildquelle: miqu77 / Shutterstock.com

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adidas 220,40 -0,85% adidas
Air Berlin plc 0,01 -2,00% Air Berlin plc
BMW AG 68,30 -0,12% BMW AG
Dürr AG 21,58 -0,09% Dürr AG
Fresenius SE & Co. KGaA (St.) 33,10 0,85% Fresenius SE & Co. KGaA (St.)
Fresenius Medical Care (FMC) St. 42,47 1,43% Fresenius Medical Care (FMC) St.
Mercedes-Benz Group (ex Daimler) 52,13 -0,19% Mercedes-Benz Group (ex Daimler)
Volkswagen (VW) AG Vz. 80,18 -0,84% Volkswagen (VW) AG Vz.