07.11.2012 19:25:31

Britische Autoindustrie erstrahlt in neuem Glanz

   Von Marietta Cauchi

   Die als notorisch krisenanfällig geltende britische Automobilbranche erlebt derzeit ein Comeback. Der einstige Ruf, schlecht gefertigte Fahrzeuge von den Bändern laufen zu lassen, weicht immer mehr einem neuen Bild. Eine starke Binnennachfrage und kräftige Exporte von Premiummarken wie Jaguar, Land Rover und Mini heben die Briten derzeit von den vielfach gebeutelten Autoherstellern in Kontinentaleuropa ab.

   Der Umschwung kam so plötzlich, dass kredithungrige Zulieferer auf Probleme stoßen, mit den Autobauern Schritt zu halten. Inzwischen wachen die gesamte Branche und sogar die Downing Street auf: Sie wollen die verbreiteten Engpässe in der Wertschöpfungskette angehen.

   Die Koalitionsregierung von Premier David Cameron hat jüngst ein Beihilfenprogramm auf den Weg gebracht, um Zulieferer mit Zuschüssen und Krediten zu versorgen. Die Regierung verdoppelte glatt die Zahl der bezuschussten Lehrstellen auf rund 900.000.

   In Großbritannien sitzende Autohersteller gäben gerne rund 3 Milliarden britische Pfund oder umgerechnet rund 3,7 Milliarden Euro bei heimischen Zulieferbetrieben aus. Doch diese verfügen oft nicht über ausreichende Produktionskapazitäten und Expertise. "Stattdessen verteilen sie die Aufträge an kontinentaleuropäische Unternehmen, obwohl es wegen des Transports, der Steuern und der Währung teurer ist", sagte John Leech vom Beratungsunternehmen KPMG.

   Die britische Automobilbranche ist die viertgrößte Europas hinter Deutschland, Spanien und Frankreich. Sie sticht hervor als eine der wenigen im Verarbeitenden Gewerbe des Vereinigten Königreichs, die im internationalen Wettbewerb mithält. Auch wenn der Großteil der Kapazitäten nicht mehr im Besitz britischer Unternehmen ist und die Ford Motor Co jüngst ein Minibus-Werk in Southampton dicht gemacht hat, ist diese Branche auf dem Vormarsch.

   Die Autohersteller loben an Großbritannien den relativ flexiblen Arbeitsmarkt, eine investorenfreundliche Steuergesetzgebung und einen ganzen Pool an Ingenieurfähigkeiten, der den Niedergang des britischen Fahrzeugbaus in den 1980ern und 1990ern überlebt hat. Aus diesen Gründen wird in die britischen Werke derzeit kräftig investiert.

   Während große Autohersteller in Europa wegen chronischer Überkapazitäten Fabriken schließen, flossen nach Großbritannien allein im vergangenen Jahr rund 6 Milliarden Pfund. Zu den Investoren zählten General Motors Co oder auch Mini-Produzent BMW. Die Deutschen haben erst vor kurzem angekündigt, zusätzliche 750 Millionen Pfund in ihre Werke in Oxford, Swindon und Hams Hall zu pumpen.

   Die britische Autobranche profitiert auch von zusätzlicher Nachfrage nach ihren weniger preisempfindlichen Premiumautos in Schwellenländern und Nordamerika. Die Umsätze mit Mini kletterten in den ersten neun Monaten des Jahres um 7 Prozent. Für Jaguar Land Rover ging es sogar um fast ein Viertel aufwärts. Luxuswagenhersteller mit geringen Stückzahlen wie Aston Martin, McLaren Automotive und Caterham profitieren ebenfalls vom neuen Glanz der britischen Traditionsbranche.

   Die Binnennachfrage nach neuen Wagen steigt derweil ungebremst. Die Neuzulassungen in Großbritannien, dem zweitgrößten Automarkt Europas nach Deutschland, legten in den ersten zehn Monaten des Jahres um 5 Prozent zu, wie Zahlen des Branchenverbands U.K. Society of Motor Manufacturers and Traders ergaben. In den traditionell starken Automärkten Frankreich und Italien zeigt die Absatzkurve dagegen nach unten. Die Neuzulassungen gingen jeweils um 13 und 12 Prozent zurück.

   Die Branche könnte allerdings ein Opfer ihres eigenen Erfolgs werden. Der britische Bankensektor ist weiter im Schlingern, was für kleinere Zulieferer eine erhebliche Kreditklemme auslösen könnte. Die Unternehmen müssen investieren und brauchen dafür Kapital. Das ruft inzwischen die britische Regierung auf den Plan. Sie organisiert Gespräche zwischen der Branche und den Banken, um aus der vertrackten Situation herauszufinden.

   "Diese Sackgasse muss angegangen werden", sagte Unterhausmitglied Richard Burden. "Die Banken beteuern: Sie vergeben mehr Kredite, doch erwarten sie von den Autoherstellern, die Zulieferer zu finanzieren, um mit dem Volumenwachstum umzugehen. Aber die Banken zeigen auch zunehmend mehr Flexibilität."

   BMW würde mehr Komponenten aus Großbritannien beziehen, sofern das möglich wäre. "Nicht alle Technologien, um Komponenten zu fertigen, sind in Großbritannien verfügbar. Einige existieren schlichtweg nicht, andere können die hohe Volumennachfrage nicht bedienen oder sind einfach nicht wettbewerbsfähig", sagte BMW-Sprecher Frank Wienstroth.

   Barclays Bank PLC, die sich an einem Finanzierungsschema der Regierung beteiligt, hat das Problem nach eigenen Worten erkannt. "Die Zulieferer stehen zunehmend wegen der wachsenden Nachfrage nach Komponenten unter Druck. Die Nachfrage hat sich für Produkte mancher Unternehmen innerhalb der vergangenen drei Jahre mitunter verdoppelt, wovon der Löwenanteil von den Premiumanbietern gebraucht wird", sagte Mike Rigby von Barclays. Einige Hersteller leisteten Vorkasse. Andere zahlten aber auch erst, wenn das Vorprodukt in die endgültige Produktion einfließt.

   Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

   DJG/DJN/axw/mgo

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