von Julia Groß, Euro am Sonntag

Zuletzt, nachdem all die ökonomischen Untergangs­szenarien ihre Wirkung verfehlt hatten, appellierten sie an die Emotionen der Schotten: Nicht für sich, sondern um seiner Kinder willen werde er gegen die Unabhängigkeit Schottlands stimmen, erklärte Großbritanniens Ex-Pre­mierminister Gordon Brown in Glasgow. Regierungschef David Cameron flehte: "Reißt unsere Familie nicht auseinander, das würde eine schmerzhafte Scheidung!" Sogar die Bekanntgabe der erneuten Schwangerschaft der Gemahlin von Thronfolger William soll, so wurde in London kolportiert, absichtlich kurz vor dem Schottland-Referendum erfolgt sein, um das Einigkeitsgefühl der Bürger zu fördern.

Was auch immer den Ausschlag gab: Am Ende stimmten die Schotten für den Verbleib im Vereinigten Königreich. 55 zu 45 Prozent lautete das Votum vom Donnerstag - bei ­einer Rekordwahlbeteiligung von über 84 Prozent. Die Erleichterung an den Finanzmärkten war spürbar: Das Britische Pfund, das seit Anfang Juli gegenüber dem Euro um über fünf Prozent an Wert eingebüßt hat, legte am Freitagmorgen wieder deutlich zu. Der FTSE 100 eröffnete 0,7 Prozent im Plus. "Ein Ja der Schotten zur Unabhängigkeit hätte ein Erdbeben ausgelöst", glaubt Reinhard Cluse, Chefökonom für Europa bei der Investmentbank UBS.

Doch das Separatismus-Thema ist damit nicht vom Tisch. Weder in Großbritannien noch in Europa insgesamt. "Das ist eine unangenehme Debatte, die Europa vor große He­rausforderungen stellt", sagt Cluse. Denn eine Wiederholung des Referendums ist nicht ausgeschlossen. Und auch wenn Schottland im Vereinigten Königreich bleibt, wird sich Großbritannien stark verändern. Schon vor der Abstimmung hatten die Schotten sich zahlreiche Selbstverwaltungsrechte erstritten. Im Zuge der Wahlkampagnen hat die Regierung in London ihnen aber eine noch viel weitreichendere Autonomie zugesagt. Das weckt Begehrlichkeiten in Wales und Nord­irland, wo es ebenfalls - wenn auch bisher nicht so starke - Unabhängigkeitsbewegungen gibt. "Alle Parteien sind sich einig, dass momentan eine ungleiche Rechteverteilung herrscht", sagt Sabine Riedel von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Es wird zu einer neuen Diskussion über Föderalismus in Großbritannien kommen."

Mehr Selbstbestimmung in den Regionen, wie zum Beispiel das Recht, Gewerbesteuern zu erheben, kann den Wettbewerb zwischen den Landesteilen anheizen. Wirtschaftlich wäre das eine positive Entwicklung - solange der Zentralregierung dadurch nicht das Geld ausgeht. Doch bis entsprechende Regelungen greifen, wird noch viel Zeit ver­gehen, da schwierige verfassungsrechtliche Fragen zu klären sind. Das bedeutet: Die Unsicherheit für Unternehmen und Investoren bezüglich des Wirtschaftsstandorts Großbritannien hält an. "Ich glaube, dass die britische Wirtschaft bereits an Schwung verliert, und die letzten politischen Entwicklungen können diese Verlangsamung nur beschleunigen und in die Länge ziehen", sagt der britische Vermögensverwalter Neil Woodford.

Die Abstimmung in Schottland hat aber auch die Autonomiebestrebungen zahlreicher anderer Regionen in der EU befeuert. Allen voran Katalonien, das gegen den Willen der spanischen Regierung im November eine Volksabstimmung abhalten will. Anders als in Großbritannien ist hier ein klares Wahlergebnis pro Unabhängigkeit absehbar, und anders als in Großbritannien kämpft Spanien mit harten Bandagen gegen die Separatisten.

Belgien scheitert seit Längerem an der Regierungsbildung und wird de facto von den Verwaltungen der zerstrittenen Landesteile Flandern und Wallonien geführt. In der norditalienischen Provinz Venetien sprachen sich in einer Umfrage kürzlich 89 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit von Rom aus. Mehr Autonomie wünschen sich mit Korsika, Sardinien, Sizilien, Galizien, Schlesien oder dem Baskenland diverse weitere Landesteile in Europa. Separatistische Parteien aus den entsprechenden Gegenden arbeiten im Europaparlament eng zusammen und kämpfen für eine "interne Erweiterung der europäischen Union".

Anhaltende Unsicherheit
Die Überzeugungen der Separatisten verstoßen klar gegen den Unionsvertrag, der die Struktur der einzelnen Mitgliedsstaaten schützt. Bisher hat Brüssel die Unabhängigkeitsaktivisten jedoch größtenteils ignoriert. Erst im Februar stellte die EU-Justizkommissarin Viviane Reding klar, dass abgespaltene Staaten sich um eine EU-Mitgliedschaft bewerben müssten, was der Zustimmung aller EU-Länder bedarf.

"Solche Separatismusbestrebungen werfen große Probleme auf", sagt UBS-Ökonom Cluse. "Was würde beispielsweise eine Abspaltung des wirtschaftlich starken Kataloniens für die Fiskalkraft von Spanien bedeuten? Welche Währung nutzen unabhängige Länder? Wer übernimmt dort die Aufgabe der Notenbank als letzte Refinanzierungsinstanz für Banken?" Die Beschäftigung mit solchen Fragen lenke von der vollständigen Bewältigung der Eurokrise ab, befürchtet Cluse.

27 Milliarden Euro Kapital sollen im August bereits aus Großbritannien abgeflossen sein - der höchste Betrag seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers vor sechs Jahren. Viele Investoren ziehen noch weitreichendere Konsequenzen. "Für mich ist das ein Grund mehr, nicht in Europa zu investieren", sagt Justin ­Urquhart Stewart, Mitbegründer des britischen Vermögensverwalters Seven Investment Management. "Wir haben hier schon zu wenig Wachstum, zu wenig Vertrauen und die Disinflation. Das Letzte, was da fehlt, ist eine Balkanisierung Europas."

Investor-Info

Nach dem Referendum
Keine Entwarnung

Für Anleger ist die Entscheidung der Schotten gegen die Unabhängigkeit sicher das bessere Ergebnis. Für den Fall einer schottischen Abspaltung waren zuletzt erhebliche Verwerfungen an den Finanzmärkten erwartet worden. Dass Großbritannien aber nunmehr auf eine Verfassungsreform zusteuert und entsprechend viele Veränderungen für den Wirtschaftsstandort zu erwarten sind, haben bisher nur wenige Marktteilnehmer auf dem Radar. Wir raten, britische Aktien weiterhin zu meiden. Risikobereite Anleger können ihren Depots nach der ersten Kurserholung in London einen Short-ETF auf den FTSE 100 (ISIN: LU0328473581) beimischen. Er profitiert von ­fallenden Kursen der britischen Aktien.
Weitere Separatismus-Initiativen, allen voran Katalonien mit seinem Referendum am 9. November, ­haben das Potenzial, die auf wackligen Beinen stehende Erholung von Europas Wirtschaft zu stören. Pessimistische Investoren sichern sich mit außereuropäischen Aktien ab, etwa mit einem ETF auf den S & P 500 (ISIN: IE00B6YX5C33) oder den MSCI World ohne EU-Titel (ISIN: FR0010756114).

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