Ärgern nützt nichts |
01.09.2016 20:30:00
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Nowotny zu Niedrigzinspolitik: Banken brauchen ordentlichen Regenschutz
Die seit 1990 anhaltende langfristige Tendenz zu niedrigen Zinsen im Euroraum ist laut Nowotny "nicht auf den Irrsinn einzelner Notenbanken" zurückzuführen. Es sei auch keine weltweite Verschwörung, sondern sei eine ökonomische Reaktion auf bestimmte gesamtwirtschaftliche Entwicklungen. Das sei sehr wichtig, so zu sehen.
"Die Rolle der niedrigen Zinsen ist sehr viel differenzierter zu sehen. Das ist kein kurzfristiges Phänomen, das von den Notenbanken eingeführt wurde, das sind langfristige ökonomische Entwicklungen", betonte Nowotny.
Die Weltwirtschaftskrise 2008 sei nicht einfach nur ein Konjunktureinbruch gewesen, sondern ein Strukturbruch, der sichtbar geworden sei. "Wir leben seither in einer Welt mit deutlich niedrigeren Wachstumsraten und Inflationsraten und damit auch niedrigeren Zinssätzen", so Nowotny.
Die Diskussionen darüber, wie die Welt jetzt zu sehen sei, sei noch nicht abgeschlossen, das habe sich auch bei der weltweiten Notenbankertagung in Jackson Hole gezeigt. Relevant sei aber etwa der technische Fortschritt, der zum ersten Mal in der Wirtschaftsgeschichte arbeits- und kapitalsparend sei. Der Investitionsbedarf sei geringer, die Nachfrage niedriger, Preise sinken, und die Zinsen müssten einfach niedriger sein.
Nowotny wies auch auf den Unterschied zwischen Nominal- und Realzinsen hin. Das sei in der Öffentlichkeit kaum unterzubringen. In den 1970er-Jahren sei man froh über 5 Prozent gewesen, bei einer Inflationsrate von 8 bis 9 Prozent - also negativen Realzinsen. In Österreich habe es bereits eine Vielzahl von negativen Realzinsen gegeben.
Eindeutig ein Problem seien die Niedrigzinsen für den Bereich der Pensionsversicherungen, die von Einkünften aus langfristigen Veranlagungen abhängig seien. Hier dürfte von Anfang an eine gewisse Illusion geherrscht haben, ein kapitalgedecktes Pensionssystem aufzubauen, in der Annahme, damit völlige Sicherheit und hohe Zinsen zu haben. "Ein modernes Umlagesystem ist wahrscheinlich immer leistungsfähiger", sagte EZB-Ratsmitglied Nowotny.
In Reaktion auf Nowotnys Ausführungen sagte Klaus Buchleitner, CEO der Raiffeiseanlandesbank Niederösterreich-Wien, dass die Banken einen ganz ordentlichen Regenschirm brauchen werden in den nächsten Jahren. Die Niedrigzinspolitik habe einige tiefe Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Banken. "Wir Banken werden uns sehr schwer tun, sozusagen Strafzinsen für Spareinlagen zu verrechnen. Da gibt es juristische Probleme und es ist im Wettbewerb sehr schwierig." Zusammengefasst ergeben sich einige negative Effekte, aber die Banken werden es mit Regenschutz überstehen.
Der Chef der Erste Bank Österreich, Thomas Uher, sieht die Wirkungen der "Nullzinspolitik" für die Kunden als "wirkliches Problem" an. Im Sinne einer Problemlösung hingegen hält er "die Wirkungen für sehr gering."
Der Finanzwirtschaftswissenschafter Stefan Pichler von der WU-Wien sagte zum Stichwort Negativzinsen, dass diese sich im Interbankenmarkt offensichtlich halten können. Bei Rechtsstreitigkeiten zu variabel verzinsten Krediten gebe es bisher uneinheitliche Gerichtsentscheidungen bis zur Ebene der Landesgerichte, die bald zum OGH gehen, so Pichler. Die Thematik könne natürlich wieder zurückfallen auf die Banken. "Hier könnte etwas auf uns zukommen."
Nowotny wollte mit dem Regenschirm drauf anspielen, dass es einige Staaten gebe, die schon länger mit dem Niedrigzinsumfeld umgehen müssten. Als Beispiel nannte der OeNB-Gouverneur die Schweiz. "Es wäre extrem gefährlich, wenn wir zu einem Rechtssystem kämen, wo ich bei Nominalzinsen nicht in den negativen Bereich kommen aber bei den Kreditzinsen schon. Das halte ich für eine Perversion. Das widerspricht auch dem ökonomischen Charakter eines Kredits", sagte Nowotny.
(Schluss) ggr/phs/sp
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