05.09.2023 11:41:46

Deutsche Bank: EZB könnte ihre Zinsen wenn nötig weiter anheben

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Analysten der Deutschen Bank erwarten, dass der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) seine Zinsen in der nächsten Woche unverändert lassen wird. Sie finden aber die Aussage führender EZB-Offizieller, dass die Zentralbank ihre Zinsen wenn nötig weiter anheben und dort für längere Zeit belassen würde ("lower and longer"), für glaubwürdig. Sie sehen dafür drei Gründe:

1. Unsicherheit

"Das hohe Maß an Unsicherheit bedeutet, dass der Markt eine ausreichende Risikoprämie für den Fall einpreisen muss, dass die Zinsen weiter steigen und länger hoch bleiben, als das normalerweise der Fall wäre", heißt es in dem Papier. Nach einer Zinspause einen niedrigeren als den aktuellen Leitzins einzupreisen wäre "unangemessen". EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte in Jackson Hole auf die hohe Unsicherheit bezüglich des Inflationspfads und der Übertragung der Geldpolitik hingewiesen. EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte ähnliche Töne angeschlagen.

Die Analysten der Deutschen Bank sehen bei Lagarde und Schnabel ein geringes Vertrauen in die Zuverlässigkeit mittelfristiger Inflationsprognosen. Angesichts einer Inflation, die immer noch weit vom Zielwert entfernt ist, könne man nicht ohne Weiteres unterstellen, dass die Zinsen schon ausreichend restriktiv seien oder lange genug hoch gewesen seien.

2. Hartnäckige Inflation

Die Analysten der Deutschen Bank sehen strukturelle Gegebenheiten in der Euroraum-Wirtschaft, die das Risiko einer anhaltend hohen Inflation und damit einer anhaltend restriktiven Geldpolitik beinhalten. Angesichts eines angespannten Arbeitsmarktes durchlaufen die Löhne einen Aufholprozess, wobei die mehrjährigen Lohnverhandlungen in Europa weniger häufige, aber potenziell - und vor allem gegenwärtig - hohe Lohnerhöhungen ermöglichen. "Das Ausmaß des Reallohnschocks bedeutet, dass sich der Aufholprozess über mehrere Jahre und über mehr als einen Lohnabschluss für mehrere Jahren hinziehen könnte", merken sie an.

Diese Lohnabschlüsse wiederum könnten ihrerseits weitere Preismechanismen in Gang setzen. Die Deutsche-Bank-Analysten sehen außerdem das Risiko einer Entankerung der Inflationserwartungen, weil die Arbeitskräftehortung der Unternehmen die Arbeitsproduktivität senke und die Arbeitskosten noch stärker stiegen, als die Lohnabschlüsse das für sich genommen erwarten ließen. Die EZB unterstelle gegenwärtig, dass die Unternehmen rund 25 Prozent der höheren Kosten absorbieren würden, was auf eine Inflation von fast 3 Prozent hinausliefe. "Das sind deutlich mehr als die im Basisszenario (für 2025) erwarteten 2,2 Prozent", merken sie an.

3. Geschichte

Nach Aussage der Volkswirte gibt es ein historisches Beispiel für den gegenwärtige Lage: Die Ölpreiskrise der 1970er Jahre. Damals sei die Inflation nach einem Gipfelpunkt wieder gesunken, worauf die Zentralbanken im Zuge eines rückläufigen Wirtschaftswachstums ihre Zinsen senkten. "Die Inflation zog daraufhin auf neue Höchstwerte an - vielleicht, weil die Zentralbanken ihre Geldpolitik nicht genug gestrafft hatten", wie sie schreiben. "Das zeigt, dass die Zinsen möglicherweise stärker angehoben werden müssen, als man im aktuellen Umfeld denkt."

In den 1970ern mussten die Zentralbanken erneut straffen, was laut Deutscher Bank zu viel höheren ökonomischen Kosten und Verlusten beim Bruttoinlandsprodukt in den Zeiten der Disinflation führte. "Dieser so genannte 'Stop-Go-Fehler' zeigt die starke Pfadabhängigkeit des Zielkonflikts zwischen Wachstum und Inflation."

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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September 05, 2023 05:42 ET (09:42 GMT)