Dow Jones
Nach Bullenmarkt |
10.02.2018 12:34:41
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Wie Wetten auf die Langeweile die Weltbörsen erschütterten
Vor allem eine Erklärung setzte sich bislang durch: Aktien besonders in den USA seien nach einem bald neun Jahre andauernden Bullenmarkt enorm teuer. Nun hätten Investoren Angst vor steigenden Zinsen bekommen - denn die machen Anleihen im Vergleich zu Aktien attraktiver.
Doch einige Experten sehen eine andere Ursache: Nach Jahren historisch niedriger Zinsen bei extrem schwachen Kursschwankungen haben Spekulanten auf der Suche nach Profiten auf den Fortbestand der Ruhe an den Finanzmärkten gewettet - und genau dadurch für Unruhe gesorgt. Wie riskant dieses Spiel wirklich war, könnte sich erst noch zeigen.
"Wir müssen anerkennen, dass es keine negativen Nachrichten auf finanzieller, makroökonomischer oder politischer Ebene gegeben hat, die die von uns beobachtete Preisentwicklung ausgelöst haben", heißt es in einer Analyse des Vermögensverwalters Generali Investments.
Die alternative Erklärung wirkt auf den ersten Blick paradox: In den vergangenen Monaten war es an den Finanzmärkten so ruhig wie nie zuvor. Der sogenannte Vix-Indikator, der das Ausmaß der Schwankungen am US-Aktienmarkt widergibt, erreichte historische Tiefstände. Gleichzeitig waren die Zinsen extrem niedrig. Es gab also für Investoren kaum Möglichkeiten zum Geldverdienen. Sie fingen daher - so die These - aus lauter Langeweile und mangels Alternativen an, auf den Fortbestand der Langeweile selbst zu wetten.
Möglich machten dies sogenannte Exchange Traded Products (ETPs). Sie sind so angelegt, dass sie bei niedrigen Kursschwankungen an den Märkten Erträge einbringen. "In einem flächendeckend schwankungsarmen Umfeld wie nie zuvor haben aus unserer Sicht Anlagen in sogenannte Short-Volatility-Produkte Überhand genommen", heißt es in einer Analyse der Investmentbank Goldman Sachs. Allein im Januar flossen 1,7 Milliarden Dollar in die zwei größten dieser Produkte - so viel wie nie zuvor in einem Monat.
Das Problem: Ist es mit der Ruhe einmal vorbei, drohen hohe Verluste. Als der Aktienmarkt in Bewegung kam, zogen viele Spekulanten, die zum Teil mit geliehenem Geld gewettet hatten, die Reißleine. Das wiederum machte aus Schwankungen Turbulenzen. Die zuletzt immer mehr gestiegene Dominanz des Computerhandels, bei dem Transaktionen nach vorgeschriebenen Algorithmen binnen Millisekunden ausgeführt werden, erhöhte dabei noch das Tempo. Das Geschäft mit der Langeweile entpuppte sich auf einmal als riskantes Abenteuer. Bei über einem Dutzend der betreffenden Produkte musste diese Woche gar der Handel ausgesetzt werden.
Zu verstehen, welche wichtige Rolle die Langeweile-Wetten bei dem Börsencrash spielten, ist auch mit Blick nach vorn wichtig - denn es drohen weitere Risiken. Zwar stecken derzeit "nur" über 3 Milliarden Dollar in entsprechenden Produkten - gemessen an den Größenordnungen der weltweiten Finanzmärkte also wenig.
Doch am Finanzmarkt hängt alles mit allem zusammen - etwa über Absicherungsgeschäfte. Chris Cole vom Hedgefonds Artemis Capital Advisers schätzt, dass am Ende zwei Billionen Dollar an den Langeweile-Wetten hängen - das ist circa die Hälfte der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands.
Hohe direkte Verluste dürfte bereits die Großbank Credit Suisse gemacht haben. Sie boten ein Kursschwankungs-Wettprodukt an, von dem sie laut der Nachrichtenagentur Bloomberg mit 4,8 Millionen knapp ein Drittel der Anteilsscheine selber hält. Der Wert dieser Scheine hatte zwischenzeitlich über 100 Dollar gelegen und ist diese Woche bis auf 15 Dollar abgestürzt. Auch die Deutsche Bank hält immerhin knapp vier Prozent der Anteile.
Doch was auch immer der Hauptauslöser für die Kursverluste an den Aktienmärkten war: Den meisten Experten gelten diese als gesunde Korrektur nach der vorherigen Rekordjagd, über deren Ende bereits lange spekuliert wird. So sah der neue Chef der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, bislang keinen Anlass, sich besorgt zu zeigen. Sein einflussreicher Kollege William Dudley bezeichnete die Kursrückgänge gar als "Peanuts" - und der Währungshüter James Bullard sprach von dem "am meisten vorhergesagten Ausverkauf aller Zeiten"./tos/bgf/fba/das
--- Von Tobias Schmidt, dpa-AFX ---
FRANKFURT (dpa-AFX)
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