06.01.2022 19:15:50

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Keine Entwarnung / Kommentar zur Inflationsentwicklung in Deutschland

von Mark Schrörs.

Frankfurt/M. (ots) - Nach der - negativen - Rekordjagd im Jahr 2021 hat die

deutsche Inflation zum Ende des Jahres etwas nachgegeben; zumindest, wenn man

den für den EU-Vergleich berechneten und für die EZB relevanten HVPI-Preisindex

zugrunde legt. Viele EZB-Granden wird das wohl in ihrer Sicht bestärken, dass

der rasante Preisanstieg nur temporär war und nun zu einem Ende kommt.

Tatsächlich dürfte der Höhepunkt erreicht sein. Für Entwarnung ist es trotzdem

ganz gewiss viel zu früh - und das nicht nur, weil die Inflation in nationaler

Rechnung (VPI) unerwartet noch zugelegt hat.

Nach den satten 6,0% im November ist die Inflationsrate gemäß HVPI nun im

Dezember leicht auf 5,7% zurückgegangen. Im Januar dürfte es sogar noch

deutlicher nach unten gehen, weil der Mehrwertsteuereffekt aus der Berechnung

herausfällt - was bis zu einen Prozentpunkt ausmachen könnte. Trotzdem ist

keineswegs alles gut: Insbesondere die explosionsartig gestiegenen Gas- und

Strompreise werden den Inflationsdruck Anfang 2022 hochhalten. Zudem ist die

hohe Teuerung längst kein singuläres Problem mehr, sondern gewinnt zusehends an

Breite. Die Raten dürften zumindest im ersten Halbjahr bei 3% bis 4% verharren.

Damit wächst die Gefahr, dass die Inflation wie in den USA auch in Europa zum

hartnäckigen Problem wird.

Das größte Risiko ist sicher, dass mit anhaltend hohen Inflationsraten der Ruf

nach steigenden Löhnen immer lauter wird und doch noch eine gefährliche

Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Bislang ist davon wenig zu sehen, aber

Wortmeldungen wie jene der mächtigen IG Metall, dass in den anstehenden

Tarifrunden höhere Löhne im Mittelpunkt stehen müssten, um Reallohnverluste zu

vermeiden, sind ein Warnsignal. Das muss auch die EZB verstehen. Ja, viele der

aktuellen Preistreiber entziehen sich ihrer Kontrolle. Aber nein, das bedeutet

nicht, dass sie sich zurücklehnen darf. Sie muss klarmachen, dass sie

Zweitrundeneffekte keinesfalls zulässt. Das heißt auch, wenn nötig

entschlossener aus der ultraexpansiven Geldpolitik auszusteigen.

Damit ist auch umrissen, vor welch großer Aufgabe der neue Bundesbankpräsident

Joachim Nagel steht: In Deutschland muss er einerseits Aufklärungsarbeit leisten

über den aktuellen Inflationstrend, ohne andererseits beschwichtigend

daherzukommen. Sonst drohen eine Kluft zwischen Bevölkerung und Notenbank und

stark anziehende Inflationserwartungen. Und im EZB-Rat muss er für mehr

Wachsamkeit gegenüber der Inflationsgefahr streiten, ohne sich zu isolieren. Das

sind immense Herausforderungen - aber Nagel bringt sehr vieles mit, sie zu

bewältigen.

(Börsen-Zeitung, 07.01.2022)

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