20.10.2021 20:16:38

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Dreifache Zäsur, Kommentar zum Rücktritt von Bundesbank-Chef Weidmann

von Mark Schrörs

Frankfurt (ots) - Bundesbankpräsident Jens Weidmann will nicht mehr. Zum

Jahresende gibt er sein Amt auf - fast fünfeinhalb Jahre vor dem eigentlichen

Ende seiner erst 2019 gestarteten zweiten Amtszeit. Wer Weidmann kennt, weiß,

dass er sich die Entscheidung alles andere als leicht gemacht hat. Umso

nachdenklicher muss sie stimmen - zumal zur jetzigen Zeit, mit der Rückkehr der

Inflation. Weidmanns Demission bedeutet eine Zäsur für die Europäische

Zentralbank (EZB), für die Euro-Geldpolitik und womöglich für die Euro­päische

Währungsunion. Leider spricht aktuell wenig dafür, dass es eine Zäsur zum

Besseren wird.

Frustration und Sorgen

Weidmann führt für seinen Rücktritt "persönliche Gründe" ins Feld. Sicher mag da

eine Rolle spielen, dass er sich mit nahe Mitte 50 fragt, was die Zukunft noch

bringt - zumal, nachdem es im Jahr 2019 mit der Nachfolge von Ex-EZB-Präsident

Mario Draghi nicht geklappt hat. Genauso sicher ist aber auch, dass die Gründe

tiefer gehen und viel mit den Kämpfen im EZB-Rat der vergangenen Jahre zu tun

ha­ben. Weidmann stand mit seiner strikten Orientierung an Geldwertstabilität

und der ordnungspolitischen Überzeugung oft allein im EZB-Rat und musste

ins­besondere von Draghi manche persönliche Verletzung einstecken. Das hat ihn

wohl über die Jahre zermürbt. Jetzt verliert der EZB-Rat nicht nur einen

respektablen Notenbanker, sondern auch einen exzellenten Ökonomen. Das ist auch

äußerst bedenklich, weil es von diesem Schlag in dem Gremium ohnehin leider

immer weniger gibt.

Wer Weidmanns Brief an die Bundesbankmitarbeiter liest, ent­deckt aber schnell,

dass es nicht nur Frustration über die Entwicklung der Geldpolitik in der

Vergangenheit ist, die ihn aufgeben lässt, sondern gerade auch die Sorge vor der

weiteren Entwicklung. Die EZB hat im Sommer eine neue geldpolitische Strategie

verabschiedet, die Weidmann mitgetragen hat. Entscheidend ist aber, wie diese

"gelebt" wird, um ein Wort Weidmanns zu zitieren. Und da scheinen etwa trotz

einer gegenteiligen Festlegung in der Strategie viele Euro-Notenbanker durchaus

ein Überschießen des 2-Prozent-Inflationsziels nach Jahren darunter anstreben zu

wollen. Ein solches Spiel mit der Inflation ist aber brandgefährlich - erst

recht, wenn die Inflation nun unerwartet stark zurückkehrt und es zunehmend

fraglich erscheint, ob das wirklich nur ein temporäres Phänomen ist.

EZB muss sich entscheiden

Auch der neue Zinsausblick (Forward Guidance), den der EZB-Rat - gegen unter

anderem Weidmanns Stimme - aus dieser neuen Strategie abgeleitet hat und der

Zinserhöhungen auf Jahre hinaus ausschließt, schießt definitiv über das Ziel

hinaus. Unlängst hat selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) ob des

unsicheren Inflationsausblicks gewarnt, dass die Notenbanken zum Handeln bereit

sein müssten. Das sollte auch der EZB Mahnung sein.

Zugleich steht der EZB-Rat kurzfristig vor zentralen Entscheidungen, weil das

1,85 Bill. Euro umfassende Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP nach aktuellem

Stand im März 2022 endet. Weidmann hat das PEPP in der Coronakrise mitgetragen

und auch der großen Flexibilität bei den Käufen zugestimmt. Mit der

wirtschaftlichen Erholung ist es jetzt aber höchste Zeit, aus dem absoluten

Krisenmodus auszusteigen und eine Normalisierung der Geldpolitik anzugehen.

Tatsächlich aber wollen viele Euro-Notenbanker diese Flexibilität auf Dauer

erhalten. In normalen Zeiten gelten aber andere Maßstäbe; sonst droht schnell

Willkür.

Die EZB muss jetzt eine grundsätzliche Entscheidung treffen, ob sie sich weiter

(oder wieder) als Zentralbank versteht, deren oberstes Ziel die

Inflationsbekämpfung und der Erhalt der Preisstabilität ist, oder ob sie sich

völlig und dauerhaft als Ausputzer für die Finanzmärkte und die Fiskalpolitik

vereinnahmen lassen will. Jüngste Wortmeldungen verschiedener EZB-Granden und

die strukturelle Mehrheit der "Tauben" im EZB-Rat lassen da nichts Gutes

erahnen.

Gleiches gilt für die Weichenstellungen, die auf europäischer Ebene anstehen.

Eine stärker gemeinsame Fiskalpolitik kann richtig ausgestaltet ohne Frage Sinn

machen. Es darf aber nicht der Weg in eine Schuldenunion beschritten werden, in

der die EZB dann wohl auf Dauer bereitstehen müsste, in großem Stil

Staatsanleihen zu kaufen.

Auf Berlin kommt es an

In all diesen Diskussionen wird Weidmann als Mahner künftig fehlen. Das ist mehr

als bedauerlich. Mancher mag ihm da nun Fahnenflucht vorwerfen. Und ohne Frage

ist es nicht von Vorteil, dass er sich nun am Ende doch einreiht in die Riege

jener deutscher Notenbanker, die im Streit über die EZB-Politik vorzeitig aus

dem Amt scheiden. Aber umgekehrt wird ein noch größerer Schuh daraus: Dass es

der EZB-Führung auf Dauer nicht gelingt, die deutsche Position ausreichend mit

zu berücksichtigen, ist ein Armutszeugnis. Für das angespannte Verhältnis

zwischen der EZB und der deutschen Öffentlichkeit ist Weidmanns Abgang

jedenfalls alles andere als förderlich.

Vieles hängt nun aber auch davon ab, wie die neue Bundesregierung reagiert.

Dabei gilt es auch, sich ehrlich zu machen. Auch die deutsche Politik hat sich

in den Krisen der vergangenen Jahre gerne hinter der EZB versteckt, um

unliebsame politische Entscheidungen zu vermeiden. Dabei hat sie auch Weidmann

oft im Regen stehen lassen - wie sie ihn auch nur mangelhaft unterstützt hat bei

der Dra­ghi-Nachfolge. Es wäre aber nun in jedem Fall ein großer Fehler, wenn

durch die Weidmann-Nachfolge die Bundesbanktradition entscheidend geschleift und

diese Stimme für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik in Euroland verstummen

würde.

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