Unternehmenskrise |
30.06.2022 22:12:00
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Netflix mit massiven Wachstumsproblemen - Warum der Streaming-Gigant jetzt seine Binge-Watching-Strategie einstellen könnte
• Massive Kundenabwanderung im ersten Quartal 2022
• Umstellung des Veröffentlichungsmodells?
Netflix lockert Binge-Watching-Modell
Der Streaminganbieter Netflix veröffentlichte neue Serien in der Regel bisher direkt als komplette Staffel, um seinen Kunden die Möglichkeit des "Binge Watchings", also mehrere Folgen einer Serie am Stück zu schauen, zu geben. In den letzten Jahren ging das Unternehmen aber immer mehr dazu über, Staffeln in zwei separaten Teilen auf die Plattform zu bringen.
Diese Strategie verfolgt Netflix auch aktuell mit der vierten Staffel der Mysteryserie "Stranger Things". Die beliebte Eigenproduktion von Netflix erscheint in zwei Teilen. Der erste Teil mit sieben Episoden wurde am 27. Mai veröffentlicht und brach laut "CNBC" Rekorde: Mit fast 287 Millionen Zuschauerstunden handelte es sich um das größte Premierenwochenende einer englischsprachigen Sendung auf der Plattform. Die restlichen beiden Episoden werden dann am 1. Juli auf der Plattform landen.
Netflix verliert zum ersten Mal seit zehn Jahren Abonnenten
Die letzten Quartalszahlen des Streaming-Riesen offenbarten aber, vor welchem Problem der Konzern momentan steht. So stagnierte das Abo-Wachstum bei Netflix im ersten Quartal 2022 nicht nur, zum ersten Mal seit zehn Jahren verlor das Unternehmen sogar Kunden. Mit 221,6 Millionen Abonnenten zählt der Anbieter nun knapp 200.000 Kunden weniger. Zwar wird der Kundenschwund zum Teil mit dem Abzug des Russland-Geschäfts als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine erklärt, wodurch 700.000 Konten wegfielen, doch auch mit den 500.000 neuen Abonnenten wäre Netflix deutlich unter seinen Zielen geblieben. Dementsprechend formulierte der Konzern seine Prognose für das zweite Quartal im Rahmen er Bilanzvorlage um und geht gar von 2,5 Millionen abwandernden Kunden aus.
Die Konkurrenz schläft nicht
Dazu kommt außerdem, dass immer mehr Mitbewerber auf den Streaming-Markt strömen. Nachdem Netflix in den ersten Jahren des Geschäftsbetriebs noch als DVD-Verleih auftrat, kam 2007 das Streaming-Geschäft dazu. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Konzern auf dem Gebiet eine Vormachtstellung. Mittlerweile gehen aber auch die Rivalen Amazon, Disney, Apple und Sky auf Kundenfang. Mit AMC+ und Paramount+ kommen bald außerdem zwei weitere Konkurrenten dazu.Pandemiebedingte Teilung laut Netflix bei Fans gleichermaßen beliebt
Um diese Probleme in den Griff zu bekommen und Kunden über einen längeren Zeitraum zu halten, könnte der Streaming-Anbieter nun bald von seiner Binge-Strategie abweichen, heißt es bei CNBC. Ein erster Schritt in diese Richtung sei bereits mit der Aufteilung von einzelnen Staffeln erfolgt, was jedoch auch mit pandemiebedingten Verzögerungen gerechtfertigt wurde. "Die Aufteilung der Staffeln hatte eigentlich einen praktischen Grund, nämlich die Verzögerungen bei COVID und all diese Projekte, die uns irgendwie dazu gebracht haben, einige der Staffeln aufzuteilen", so Co-CEO Ted Sarandos laut CNBC im Rahmen der jüngsten Bilanzvorlage. "Aber wir haben festgestellt, dass die Fans beides mögen." Ein generelles Abweichungen von er ursprünglichen Strategie, komplette Staffeln auf einmal zu veröffentlichen, sei momentan aber nicht erkennbar, so der Fernsehsender weiter. Stattdessen sollen individuelle Entscheidungen getroffen werden. Bisher habe das Unternehmen zwar auch wöchentliche Ausstrahlungen getestet, dies habe sich aber auf Reality-Sendungen beschränkt. So schätzen Abonnenten nach Angaben des Konzerns die Möglichkeit, beim anschauen von Serien freie Möglichkeiten zu haben.
Bisheriges Veröffentlichungsmodell fördert kurzzeitige Abo-Pausen
Diese Freiheit stellt für Netflix aber auch ein Problem dar, wie Wedbush-Analyst Michael Pachter gegenüber CNBC zu bedenken gibt. "Bei Netflix ist es sehr einfach, sich für drei bis sechs Monate anzumelden und dann wieder für drei bis sechs Monate zu gehen", so der Stratege. "Wenn 'Stranger Things' vorbei ist und 'Ozark' vorbei ist, was dann?"
Daran zeige sich aber, dass sich Netflix nun in einem vollständig anderen Marktumfeld befinde, wie der Professor für Popkultur Robert Thompson betont. "Als Netflix anfing, hatte es das Feld wirklich für sich allein", so der Wissenschaftler. "Einer der Gründe, warum sie mit dem Binging begonnen haben, war, die Leute zum Reden zu bringen und ihre neuen Originalprogramme wirklich zu lancieren. Das ist ihnen gelungen. Jetzt ist es jedoch ein ganz anderer Fall". So laufen immer mehr Lizenzen für Inhalte anderer Studios aus. Disney zog etwa seine Filme und Serien von der Plattform ab, bevor der Medienkonzern seinen eigenen Streamingdienst Disney+ startete. Daher lege Netflix nun einen stärkeren Fokus auf Eigenproduktionen.
Inspiration von Disney, Amazon & Co.?
Mitbewerber wie Disney+, Hulu und HBO Max wenden außerdem bereit die Strategie an, pro Woche eine Folge einer Staffel zu veröffentlichen, wodurch Abonnenten auf der Plattform gehalten werden sollen. Besonders Disney bindet Kunden mit der Möglichkeit, das Abo Monat für Monat zu erneuen oder bereits das Jahrespaket zu ordern. Eigenproduktionen zu den Franchises "Star Wars" und "Marvel" halten die Abonnenten ebenfalls bei Laune. "Es ist absolut in Ordnung zu sagen: 'Wir sind der Disruptor, aber es gibt Dinge, die unsere Konkurrenten machen, die wir bewundern und respektieren und von denen wir glauben, dass sie es richtig machen'", so Pachter. "Das ist keine Ausrede." Sollte Netflix also nicht den wöchentlichen Veröffentlichungsrhythmus von Disney+ übernehmen wollen, sei auch ein Abspicken bei Amazon denkbar. Der Versandhändler bringt bei einigen seiner Eigenproduktionen drei neue Folgen pro Woche heraus.
Qualität statt Quantität
Während konkurrierende Dienste mit ausgeweiteten Veröffentlichungsstrategien Kunden also das ganze Jahr über mit Inhalten versorgen, muss Netflix viel mehr Eigenproduktionen nachliefern, um seinen Abonnenten ein ähnliches Gefühl zu geben, erklärt Pachter gegenüber dem US-Sender. "Netflix' Datenmenge bedeutet, dass sie mehr Inhalte produzieren müssen, um die Abwanderung zu minimieren", so der Stratege. "Ich glaube, dass sie viel erfolgreicher sein werden, wenn sie sich auf mehr Qualität als auf mehr Quantität konzentrieren." Dieser Meinung ist auch Peter Csathy vom Beratungsunternehmen Creative Media. "Anstatt alle Titel an die Wand zu werfen, um zu sehen, was bei den Verbrauchern hängen bleibt, sollte man sich auf Franchises und bekannte Marken konzentrieren", so der Gründer und Vorsitzende gegenüber CNBC. "Die klügsten Wetten sind diejenigen, die einen hohen Bekanntheitsgrad und ein festes Publikum haben."
Strategiewechsel voraus?
Ob Netflix sein Veröffentlichungsmodell tatsächlich umstellen wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Medien- und Streaming-Analyst Dan Rayburn hält dies jedoch für unwahrscheinlich. "Ich glaube, die Leute vergessen in unserer Branche, dass es keine Einheitsgröße für alle gibt", so der Experte gegenüber CNBC. "Ich glaube nicht, dass Netflix sagen wird, dass es kein Binge Watching mehr geben wird." Eher werde der Streaming-Anbieter andere Vertriebspläne hinzufügen, wie etwa ein werbefinanziertes Abo, das Co-CEO Reed Hastings kürzlich in Aussicht stellte.
Laut Csathy sollte man allerdings keine voreiligen Schlüsse ziehen, was die Vorgehensweise von Netflix angeht. So sei das Unternehmen immer wieder für Überraschungen gut: "Bei Netflix oder anderen Anbietern gilt: Sag niemals nie", erklärte der Creative Media-Chef gegenüber dem Sender. "Genauso wie sie gesagt haben 'auf keinen Fall, keine Werbung', sollte man nicht davon ausgehen, dass Binge Viewing für immer ist."
Redaktion finanzen.at
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