04.02.2018 20:27:42
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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu den Koalitionsverhandlungen
von Louisa Knobloch
Die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD sind auf der
Zielgeraden. Man werde "verhandeln, bis es quietscht", hatte Andrea
Nahles auf dem Parteitag angekündigt. Betrachtet man die bisherigen
Ergebnisse, macht sich jedoch Ernüchterung breit. Gut möglich, dass
die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag durchfallen lassen. Damit
wäre die einstige große Volkspartei endgültig am Boden - und eine
auch personelle Erneuerung nötig. Zu den wenigen erfreulichen Punkten
zählt die Einigung der Parteien im Bildungsbereich: das
Kooperationsverbot im Grundgesetz wird gelockert, Schulen erhalten
mehr Geld für die Digitalisierung und Grundschüler sollen einen
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung haben. Dann beginnt es aber
schon zu knirschen, statt zu quietschen. Zwar konnte die SPD
erreichen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab 2019 wieder den
gleichen Anteil an den Krankenkassenbeiträgen bezahlen. Hier muss man
sich aber auch ins Gedächtnis rufen, dass die Partei im
Koalitionsvertrag von 2013 zugestimmt hatte, dass Zusatzbeiträge nur
von den Arbeitnehmern zu tragen sind. Von ihrer Forderung nach einer
Bürgerversicherung mussten sich die Genossen schon früh verabschieden
und auch die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin durch eine
Angleichung der Arzthonorare ist mit der Union nicht ohne weiteres zu
machen. Dass die Koalitionäre ein Sofortprogramm für 8000 neue
Stellen in der Pflege auflegen wollen, ist angesichts des
tatsächlichen Personalbedarfs nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Bei der Rente verkündeten die Verhandlungspartner stolz, dass es zwei
"Haltelinien" geben soll: So wollen Union und SPD das Rentenniveau
bis 2025 bei 48 Prozent halten und die Beiträge zur
Rentenversicherung sollen bis zu diesem Jahr nicht über 20 Prozent
steigen. Richtig kritisch wird es aber erst danach, wenn die
Generation der Babyboomer - also der zwischen 1955 und 1969 Geborenen
in Rente geht. Hier droht vielen die Altersarmut. Beim Thema
Migration konnte man oft nur noch den Kopf schütteln, wenn man sich
anhörte, wie unterschiedlich Politiker von Union und SPD die
Verhandlungsergebnisse interpretierten. Ist eine Zuwanderung von 180
000 bis 220 000 Menschen pro Jahr nun eine Obergrenze - oder doch
nicht? Auch die Einigung beim Familiennachzug von Flüchtlingen mit
eingeschränktem Schutz reklamieren beide Lager als Erfolg für sich.
Eine deutliche Nachbesserung, wie Martin Schulz sie auf dem Parteitag
versprochen hatte, ist die Übernahme einer bestehenden
Härtfallregelung, von der bislang nur etwa 100 Menschen pro Jahr
profitieren, sicherlich nicht. Eine Einigung von Union und SPD
bedeutet also noch lange nicht, dass die nächste GroKo kommt. Denn
zunächst dürfen - wie bereits 2013 - die rund 440 000 SPD-Mitglieder
über den Koalitionsvertrag abstimmen. Vor fünf Jahren votierten die
Genossen noch mit einer Dreiviertelmehrheit für die große Koalition,
auch um sozialdemokratische Herzensanliegen wie den Mindestlohn
umzusetzen. Diesmal wird es wohl deutlich knapper: Auf dem Parteitag
sprachen sich nur 56 Prozent der Delegierten überhaupt für die
Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aus. Die SPD-Mitglieder haben es
in der Hand, die GroKo noch platzen zu lassen. Dann stünde
Deutschland fast fünf Monate nach der Bundestagswahl noch immer ohne
neue Regierung da. Neuwahlen könnten für die SPD allerdings noch
verheerendere Folgen haben als eine erneute GroKo: Im aktuellen
Deutschlandtrend ist die Partei auf 18 Prozent abgesackt - die AfD
liegt derzeit bei 14 Prozent. Auch die Umfragewerte von Martin Schulz
sind im Sinkflug. Sollte er nach seinem Sinneswandel beim Thema
Koalitionsverhandlungen nun Mitglied einer GroKo-Regierung werden,
obwohl er das zuvor ausgeschlossen hatte, macht er sich unglaubwürdig
und sollte den Platz an der SPD-Spitze räumen.
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