Keine Entwarnung |
10.06.2022 23:43:00
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Marktexperte Vitaliy Katsenelson warnt: Die Inflation wird die Wirtschaft noch lange erschüttern
• Zinsen, Lieferkettenprobleme und Deglobalisierungsprozesse
• Nachlassendes Wirtschafswachstum bei steigenden Preisen bedeutet Stagflation
Im März dieses Jahres waren Kraftstoffe, Mieten und Lebensmittel die größten Preistreiber in den USA. Auch US-Finanzministerin Janet Yellen räumte ein, dass sie sich geirrt habe als sie vor einem Jahr die Inflation als unproblematisch bewertet habe. "Ich glaube, ich habe mich damals geirrt, was die Entwicklung der Inflation angeht", erklärte sie nun gegenüber CNN. Die hohen Energiepreise und die anhaltenden Lieferkettenprobleme erschütterten die Wirtschaft und seinen unterschätzt worden.
Die Eindämmung der Inflation ist daher aktuell auch das zentrale Thema. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz warnte in der Generaldebatte des Bundestages vor einer "dauerhaften Entwicklung mit zu hohen Inflationsraten" und rief zur "konzertierten Aktion" gegen die hohe Inflation auf. Der Inflationsdruck müsse nachhaltig gemindert werden.
Vitaly Katsenelson, CEO und CIO von Investment Management Associates, führt in einem Kommentar, der in der Financial Times und bei MarketWatch erschienen ist, aus, warum die Inflation seiner Meinung nach noch lange anhalten wird. Er geht sogar davon aus, dass die derzeitigen Inflationszahlen in den USA zu niedrig angesetzt seien und bewertet die deutlich höheren, nicht-bereinigten Inflationszahlen für Im- und Exporte (zwischen 12 und 18 Prozent) als realistischer.
Die für die hohe Inflation und die Erschütterung der US-amerikanischen Wirtschaft sowie der Weltwirtschaft verantwortlichen Faktoren blieben noch lange Zeit bestehen: Anhaltend hohe Preise für Energie und Lebensmittel sowie steigende Zinsen, Lieferkettenprobleme und Deglobalisierungsprozesse.
Steigende Preise, angetrieben durch Pandemie und Krieg
Der Rückgang der Investitionen in den Sektor der fossilen Energien sei durch die Pandemie und den Krieg Russlands gegen die Ukraine beschleunigt worden. Durch die Sanktionen gegen Russland könnten dem Weltmarkt annähernd 10 Prozent des Gesamtvolumens (8 Millionen Barrel) fehlen. Es sei aber fraglich, ob große Erdölimporteure wie China und Indien sich den Sanktionen uneingeschränkt anschließen. Selbst wenn einzelne Länder die Sanktionen umgehen, würde von außen eingebrachtes Know-how in die russische Erdöl- und Erdgasförderung fehlen, und die russischen Exporte würden zwangsläufig auf längere Sicht zurückgehen.
Im Vergleich zum Rohöl ist beim Erdgas der Transport über Tankschiffe oder Pipelines ungleich schwieriger. Europa, allen voran Deutschland, ist massiv abhängig von russischem Gas. Und auch wenn sich die Länder von der Abhängigkeit innerhalb der nächsten Jahre lösen möchten, werde sich dies, so Katsenelson, in der Praxis schwierig gestalten und die Öl- und Gaspreise auf hohem Niveau verbleiben. Auch in den USA werde die Produktion von Gas und Öl zunehmen müssen.
Die hohen Lebensmittelpreise lassen sich zum Teil auch auf den Ukraine-Krieg zurückführen. Denn fast 15 Prozent des Weizens werden in Russland und der Ukraine produziert und auch die Düngemittelindustrie bezieht wichtige Rohstoffe für Kali- und Stickstoffdünger aus den beiden Ländern. Somit hat ein Exportstopp von Gas und Kali entsprechend direkt Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion in allen Bereichen, von Getreide, über Obst- und Gemüseanbau, bis hin zur Fleischproduktion.
Die Inflation bei den Lebensmitteln trifft die ärmeren Länder und die arme Bevölkerung in den wohlhabenderen Staaten überproportional, da sie zukünftig einen immer größer werdenden Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden müssen. Zum Vergleich: In den USA geben die Verbraucher durchschnittlich 8,6 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, in der Ukraine sind es derzeit durchschnittlich 38 Prozent - Tendenz steigend.
Lieferkettenprobleme werden die Wirtschaft weiter beschäftigen
Höhere Zinsen verteuern die auf Kredit gekauften Waren, billige Kredite könnten der Vergangenheit angehören. Der Verbraucher werde, laut Vitaliy Katsenelson, damit von allen Seiten unter Druck gesetzt.
Erneute Lockdowns in China würden zudem die aus der Pandemie resultierenden Lieferkettenprobleme verstärken und verlängern. China verfüge mit seiner Zero-COVID-Politik zwar über eine der niedrigsten Pro-Kopf Infektionszahlen und Sterbefälle weltweit, sei jedoch auch durch teilweise unzureichend wirksame, lokale Impfstoffe und einer geringe Immunität innerhalb der Bevölkerung von einer Normalisierung weit entfernt.
Die Pandemie und der Ukraine-Krieg hätten des Weiteren die Deglobalisierung beschleunigt und die Zerbrechlichkeit der globalen Versorgungssysteme und des vielgepriesenen Just-in-time-Prinzips offenbart. Das globale Handelssystem beruhe auf der Annahme, dass Handelspartner keine Kriege miteinander führten - diese Annahme kann nun nicht mehr gelten.
Redaktion finanzen.at
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