GELD-Magazin 24.03.2017 12:06:40

"Das Jahr der zwei Hälften"

Kolumne

Guido Barthels ist Portfolio Manager bei der Fondsgesellschaft Ethenea. Er sieht die Entwicklungen an den internationalen Märkten auch mit einem zwinkernden Auge und bringt für das GELD-Magazin seine Erwartungen hinsichtlich der wichtigsten (finanz-)politischen Entwicklungen auf den Punkt.

Das Interview führte: Mario Franzin

GELD-Magazin: Der US-Aktienmarkt gilt als überbewertet, Europa hingegen als günstig. Wie sehen Sie die Entwicklung im Jahresverlauf?

Guido Barthels: Unsere Anlagestrategie ist ganz einfach: Wir glauben an ein Jahr der zwei Hälften. Das hört sich erst mal trivial an. Aber in den USA werden wir in der ersten Jahreshälfte noch unter dem Eindruck von Donald Trump stehen, der Trumpflation. Ich habe zum Beispiel nie verstanden, wie bei der Wahl Donald Trumps die Märkte innerhalb von Stunden umdachten. Das war wirklich faszinierend. Da hat man die negativen Aspekte innerhalb von Stunden komplett ausgeblendet. Und jeder sagte vorher, um Gottes willen, nicht Trump. Die durch die hohen Erwartungen hervorgerufene Überbewertung an den amerikanischen Aktienmärkten wird sich aber etwa ab dem Frühjahr wieder korrigieren. Trump wird ein bisschen entzaubert werden. Der US-Aktienmarkt wird meiner Meinung nach im zweiten Halbjahr langsam und stetig rückläufig sein. Bei US-Anleihen werden wir in diesem Zeitraum tendenziell wieder steigende Kurse sehen und die zehnjährige Rendite wird sich von derzeit etwa 2,4 auf rund zwei Prozent reduzieren. Von diesem Szenario gehen wir deshalb aus, weil wir bei der US-Inflation spätestens im März den Peak sehen werden. Das wird auch zeitverzögert den Rentenmarkt stützen. Für eine rückläufige Inflation in den USA spricht auch, dass die Prognose der Atlanta-Fed für das BIP-Wachstum der USA im ersten Quartal von 2,5 auf mittlerweile 1,2 Prozent reduziert worden ist.

GELD-Magazin: Und was erwarten Sie nun für Europa?

Guido Barthels: In Europa sehen wir eine gegenteilige Entwicklung: Im ersten Halbjahr haben wir politische Unsicherheiten. Da sollte man nicht groß dagegen wetten. Aber wir glauben, dass europäische Aktien unterbewertet sind. Das Wachstum in Europa ist robust, während es in Amerika eher abnimmt. Außerdem wurden europäische Aktien von nichteuropäischen Investoren ein bisschen links liegen gelassen - eben aufgrund der politischen Risiken oder auch dem Brexit. Deshalb glaube ich, dass in Europa in der zweiten Jahreshälfte die großen Gelegenheiten kommen werden. Bei den europäischen Wachstumszahlen sind wir noch bei 0,3 oder 0,4 Prozent - das ist noch nicht so üppig. In Deutschland ist das Wachstum aber nicht so schlecht und zuletzt hat auch die Einwohnerzahl zugenommen. Da kommt eine Dynamik rein, die interessant ist. Deshalb haben wir angefangen, tendenziell amerikanische Aktien unterzugewichten und europäische Aktien überzugewichten. Bei europäischen Renten sind wir nicht ganz so optimistisch, vor allem wegen der offensichtlichen politischen Risiken, die wir vor uns herschieben. Wenn die EZB bis Ende des Jahres nicht von ihrer jetzigen Zinspolitik abweichen wird, sehen wir wenig Potenzial, hier irgendetwas großartig zu machen. Da kann man bestenfalls nach den Wahlen kosmetisch das jeweilige Landesrisiko kaufen. Also Frankreich ist jetzt doch wieder relativ billig geworden - aber das sind wie gesagt nur Feinheiten.

GELD-Magazin: Wie schätzen Sie die tatsächlichen Risiken durch die bevorstehenden Wahlen ein?

Guido Barthels: Über die Wahlen wissen die meisten Leute zu wenig: Zum Beispiel bezüglich Le Pen: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Nationalratsversammlung nur ansatzweise eine Mehrheit bekommen wird, ist bei null - sie ist nicht klein, sie ist null. Weil es in Frankreich ein Proporzwahlsystem gibt und dann Direktmandate. In Frankreich hat die Nationalversammlung 577 Sitze und für jeden Sitz einen Kandidaten, dem jeweiligen Wahlsieger in seinem Bezirk. Eine Front Nationale schafft das eben nicht. Die haben das letzte Mal, obwohl sie 18 Prozent der Stimmen insgesamt erhalten haben, nur zwei Sitze von 577 geholt. Was wir Direktmandate nennen, haben die in ganz Frankreich. Also werden tendenziell immer die großen Parteien dominieren. Und selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Le Pen im zweiten Wahlgang gewinnen sollte, würde sie gegen die Nationalversammlung regieren müssen. Und das ist in Frankreich nicht so einfach wie in Amerika, wo mit Dekreten herumhantiert werden kann. Also insofern muss man den Ball hier flach halten.

GELD-Magazin: Glauben Sie, dass der Brexit Europa negativ beeinflussen wird?

Guido Barthels: Der Brexit kaum, das ist mehr ein englisches Problem. Die Schotten haben gerade wieder eine Umfrage gemacht: Ein Referendum zum jetzigen Zeitpunkt würde zugunsten des Verlassens Großbritanniens führen. Da hat England sowieso ein Problem, weil die ganzen Gasvorkommen in der schottischen Nordsee und nicht in der englischen liegen. Da wird aus Großbritannien sehr schnell Kleinbritannien werden. Was Irland dann machen wird, bin ich mir nicht so sicher, weil dann Nordirland eine EU-Außengrenze haben würde. Der Grenzverkehr würde an der irisch/nordirischen Grenze stattfinden - mit Sicherung, Passkontrollen etc. Das wird nicht ganz im Sinne der Nordiren sein, das ist ja der schwächere Teil Irlands. Also England und Wales wird zum Schluss noch übrig sein - und dann viel Spaß dabei.

GELD-Magazin: Die Finanzindustrie schmiedet ja schon umfangreiche Pläne zur Verlagerung...

Guido Barthels: Goldman Sachs hat ja schon angekündigt, ihr Headquarter nach Frankfurt zu verlegen. Einige andere gehen in Richtung Paris, da wird so einiges passieren. Ich finde das von England völlig verrückt. Aber ich finde es auch traurig, da ich selber zwei Jahre in London gelebt habe und der Brexit ist jetzt für mich als überzeugter Europäer ein Event, das komplett verkehrt zu meiner Überzeugung ist. Ich denke, die Zukunft Europas liegt nicht im Nationalbewusstsein, sondern in dem: Ja, wir sind stolz, Deutscher, Engländer, Österreicher oder sonst was zu sein. Aber trotzdem sollten wir in allererster Linie wieder Europäer sein und uns auf die Vielfalt in Europa besinnen. Meine Kinder können sich gar nicht mehr vorstellen, wie das war, nach Österreich mit einem Pass zu reisen und zu überlegen, wieviel Geld man wechseln muss. In Italien, wo man Bonbons als Wechselgeld zurückbekam, weil die Lira so wenig wert war. Da wollen wir ja ernsthaft nicht mehr hin. Also ich möchte das nicht. Wir brauchen den freien Austausch von Waren, Gütern und Personen. Davon lebt ja Europa - wir sind ja sonst zu klein. Österreich alleine hätte z.B. kaum eine Chance, Deutschland auch nicht. Hätten wir die DM, wäre sie aller Wahrscheinlichkeit nach wesentlich höher bewertet. Das würde der deutschen Wirtschaft nicht gerade gut tun. Auch die Finanzierung der Staaten würde nicht funktionieren: Italien oder Spanien ohne EZB im Rücken, die Zinsen wären irgendwo bei acht oder neun Prozent.

GELD-Magazin: Das wäre in diesem Fall auch für Griechenland ein Drama...

Guido Barthels: Griechenland ist so und so pleite. Das Problem muss durch einen Schuldenverzicht gelöst werden. Wenn die deutschen Wahlen vorbei sind, dann werden eine Frau Merkel oder ein Herr Schulz ihre Blockadehaltung endlich aufgeben und einer Entschuldung Griechenlands zustimmen. Letztendlich ist Griechenland zu klein, um den Euro als Experiment aufzugeben. Die Wähler werden dann ein bisschen an der Nase herumgeführt und es wird eine Umschuldung geben, damit wir keinen Schuldenverzicht machen müssen. Die griechischen Anleihen werden auf null oder 0,2 Prozent Zinsen gestellt und in 50 Jahren buchen wir die irgendwie aus - dann merkt es keiner mehr. So wird es passieren, kann ja auch gar nicht anders passieren.

GELD-Magazin: Was halten Sie von Eurobonds als Ausweg?

Guido Barthels: Die kann man nur machen, wenn man auch eine europäische Zentralregierung hätte, die Verfügungsgewalt in die Fiskaleinheiten der Nationalstaaten hätte. Und da sehe ich im Moment nicht den Willen der europäischen Bevölkerung. Wenn das wäre, könnten wir auch Eurobonds haben. Da wäre auch noch die Verteidigungspolitik, die auf europäischer Ebene mehr Sinn machen würde. Da wird dann auch ein Krieg zwischen den Mitgliedsstaaten immer unwahrscheinlicher.

GELD-Magazin: Die gibt es mit der NATO ja schon...

Guido Barthels: Wenn man bedenkt, dass die Türkei auch NATO-Mitglied ist, habe ich da meine Bedenken. Was Erdogan in der Türkei macht, ist besorgniserregend, auch weil es Tendenzen gibt, die wir hier in Europa teilweise aus den düsteren Kapiteln des letzten Jahrhunderts kennen. Durch die Verfassungsänderung wäre er in der Lage, das Parlament aufzulösen, und das läuft ganz klar auf eine Entdemokratisierung hinaus. Damit macht er sich potenziell - potenziell wohlgemerkt - zum Diktator.

GELD-Magazin: Auch Donald Trump zeigt Ambitionen von Alleinherrschaft. Er wird hingegen laufend durch Gerichte und den Kongress eingebremst.

Guido Barthels: Ja, aber das ist ja das Gute, dass er eben nicht machen kann, was er will. Er kann nicht gegen den Kongress regieren. Und ein Richter von irgendeinem County ist in der Lage, dem großen amerikanischen Präsidenten zu sagen, "Nein, das geht nicht." Das zeigt, dass das System in Amerika sehr robust ist.
Gut, der US-Präsident ist ein mächtiger Mann. Er kann z.B. irgendwo zwei Wochen Krieg führen, ohne, dass er die Zustimmung des Parlaments braucht. Und in zwei Wochen kann man mit dem Waffenarsenal, das er zur Verfügung hat, schon ziemlich viel Mist machen.
Aber neben dem Kongress und der Justiz ist auch die Presse in den USA sehr stark. Dass da eine Diktatur oder nur annähernd so was rauskommt, kann ich mir nicht vorstellen. Ich vermute sogar, dass Trump seine Legislaturperiode nicht komplett beenden wird. Ich glaube, er schafft nicht mal Ende des Jahres. Er hat sich ja auch mittlerweile mächtige Feinde gemacht. Mit der Presse kann man sich zwar anlegen, muss man aber nicht - und schon gar nicht mit CNN oder Washington Post. Die sind ja nicht gerade dafür bekannt, dass sie Boulevard-Journalisten beschäftigen. Die haben entsprechende Mittel und Kapazitäten, sehr ausgiebige Recherchen anzustellen. Und da scheint sich auch mit der Russland-Connection Trumps was rauszukristallisieren. Wenn man ihm da etwas nachweisen kann, wird das für ihn zum Problem. Trump wird wahrscheinlich irgendwann den Hut nehmen und sagen: "Das ist mir alles zu kompliziert…" Er hat ja auch gesagt, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass eine Gesundheitsreform so derart komplex ist. Ich glaube, der hat das alles wirklich falsch eingeschätzt.

GELD-Magazin: Geht ja die US-Steuerreform auch nicht so ganz einfach...

Guido Barthels: Nein, natürlich nicht! "The greatest tax reform ever - god created." Da hat er seine Superlativen rasch bei der Hand - aber andererseits hat Trump einen gigantischen Unterhaltungswert. Wir werden ihn vermissen irgendwann mal - hinterher.

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Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

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