19.01.2018 20:07:56
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Aachener Nachrichten: In der Verantwortung - Die SPD vor ihrem wegweisenden Parteitag; ein Kommentar von Joachim Zinsen
Aachen (ots) - Staatspolitische Verantwortung: Häufig war davon in
den vergangenen Wochen die Rede. Oft hieß es, die SPD übernehme sie
nur dann, wenn die Partei erneut in eine große Koalition eintritt.
Aber stimmt das? Nein, es zeugt von größerer staatspolitischer
Verantwortung, wenn die SPD alles dafür tut, endlich wieder als
kraftvoller Gegenspieler der Union die brüchige deutsche
Parteienlandschaft zu stabilisieren. Sie beweist staatspolitische
Verantwortung, wenn ihre Spitzenleute nicht länger wie Getriebene
wirken, sondern als selbstbewusste und prinzipienfeste Vertreter
einer linksliberalen Volkspartei auftreten. Die Sozialdemokratie
kommt dann ihrer staatspolitischen Verantwortung nach, wenn es ihr
gelingt, attraktive politische Alternativen für eine reiche
Gesellschaft zu formulieren, in der inzwischen ganze
Bevölkerungsschichten vom wachsenden Wohlstand ausgeschlossen sind.
Für eine Gesellschaft, in der sich immer mehr Menschen gehetzt fühlen
und am Rande des Burn-out wandeln. Für eine Gesellschaft, in der
grassierende Abstiegsängste längst zum Nährboden für
rechtsnationalistische Verführer geworden sind. Deshalb muss die SPD
sich deutlich von der Politik der Union abgrenzen und mit den Resten
neoliberalen Agenda-Denkens in den eigenen Reihen brechen. Oder
wollen die Sozialdemokraten zulassen, dass etwas weiter
zusammenwächst, was nicht zusammengehört? Spatz oder Taube? Vielen
Delegierten des SPD-Parteitags dürften ähnliche Gedanken durch den
Kopf gehen. Sie haben am Sonntag zu entscheiden: Reichen die während
der Sondierungsgespräche mit der Union vereinbarten Punkte aus, um
in einer Groko den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden? Genügt dazu
einmal mehr der Spatz in der Hand? Oder muss die Partei den mutigeren
und zunächst wohl auch schmerzhafteren Weg gehen und versuchen, sich
an die Taube auf dem Dach heranzuschleichen? Gilt es deshalb, den
Stecker für eine weitere Zusammenarbeit mit der Union zu ziehen? Fakt
ist: Bei den Sondierungsgesprächen hat die SPD-Spitze zwar viele
kleinere Erfolge verbuchen können. Die Stichworte sind Grundrente,
Rückkehr zur paritätischen Krankenversicherung und bessere Förderung
von Langzeitarbeitslosen. Aber daneben stehen einige herbe
Niederlagen - etwa beim Thema Bürgerversicherung oder beim Versuch,
die sachgrundlose Befristung von Jobs zu kippen, mit der Millionen
vor allem junger Arbeitnehmer zu kämpfen haben. Zudem fehlt ein
großes sozialdemokratisches Leuchtturm-Projekt, das die eigene
Klientel begeistern könnte. Das Dilemma der Delegierten Auch nach
möglichen Koalitionsverhandlungen wird das so bleiben. Zwar sind die
Sondierungsergebnisse noch keine konkreten Koalitionsvereinbarungen.
Sie geben lediglich einen Rahmen vor. Änderungen an ihnen sind
durchaus möglich. Doch diese werden kaum grundlegender Natur sein.
Das hat die Union bereits deutlich signalisiert. Wer sich trotzdem
der Illusion hingibt, den Konservativen in den kommenden Wochen
deutliche Verbesserungen für Arbeitnehmer, Rentner, kinderreiche
Familien, Hartz-IV-Empfänger, Flüchtlinge oder gar für die Umwelt
abringen zu können, befindet sich auf einem feingedrechselten
Holzweg. Die Sozialdemokraten stehen deshalb vor einem Dilemma:
Stimmen sie am Sonntag gegen eine neuerliche Groko, beschädigen sie
die Parteiführung. Votiert die Mehrheit für die Fortsetzung der
Verhandlungen, läuft die Partei Gefahr, die eigene Identität weiter
zu beschädigen. Den Vorwurf, sozialdemokratischen Groko-Gegnern fehle
es an staatspolitischer Verantwortung, sollten die Delegierten am
Sonntag ignorieren. Wer diese Messlatte anlegt, der muss auch
CDU-Chefin Angela Merkel attestieren: Ihre kategorische Weigerung,
notfalls eine Minderheitsregierung zu bilden, zeugt weder von Mut,
noch von staatspolitischer Verantwortung.
j.zinsen@zeitungsverlag-aachen.de
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