18.09.2009 11:02:18

Warum die EZB gern an die Leitzinserhöhung von Juli 2008 erinnert

Von Hans Bentzien Dow Jones NEWSWIRES FRANKFURT (Dow Jones)--Der Vorfall liegt schon über ein Jahr zurück, doch er könnte in der geldpolitischen Debatte in nächster Zeit noch eine Rolle spielen: Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) kündigte im Juni 2008 unerwartet eine Erhöhung der Leitzinsen für den kommenden Monat an und brachte damit Ökonomen und Regierungen gegen sich auf.

   Die spektakuläre Aktion, die die Glaubwürdigkeit der EZB als kompromisslose Inflationsbekämpferin zementieren sollte, ging quasi im Donnern der kurze Zeit später voll losbrechenden Finanzkrise unter. Derzeit erinnern EZB-Offizielle gern an diesen Zinsschritt, denn die Glaubwürdigkeit der EZB könnte bei den anstehenden Entscheidungen über zeitlichen Verlauf und Ausmaß einer geldpolitischen Normalisierung eine große Rolle spielen.

   Dabei ähnelt die derzeitige Lage jener von 2008 zunächst überhaupt nicht. Im Frühjahr 2008 hatte die Inflation mehr als einen Prozentpunkt oberhalb des mit Preisstabilität definierten Bereichs von "unter, aber nahe 2%" Jahresinflation gelegen. Die Jahresrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex näherte sich vor allem wegen des Höhenflugs des Ölpreises der Marke von 4%.

   Die EZB hatte in den Monaten zuvor angesichts der rasant steigenden Inflation zunächst erklärt, die Teuerung liege nur vorübergehend über 2%, mittelfristig sei alles in Ordnung. Dann war von einem "Buckel" (Hump) die Rede, später begann sich der Buckel aber zu einem Berg auszuwachsen. Der Leitzins lag nach acht Zinserhöhungen bereits bei 4,00%. Würde die EZB die Zinsen weiter erhöhen? Zunächst erklärte sie, die Inflationserwartungen seien verankert. Später war auch das nicht mehr der Fall.

   Volkswirte meinten damals ziemlich übereinstimmend, die EZB werde ihren Leitzins wohl kaum wegen einer Inflation weiter anheben, die maßgeblich aus dem Ölpreisanstieg resultiere - die Unternehmen hätten es auch so schon schwer genug. Zu diesem Zeitpunkt wiesen die Konjunkturfrühindikatoren bereits nach unten, die Finanzkrise hatte in IKB und SachsenLB ihre ersten Opfer gefunden, Bank of England und Fed hatten schon im Dezember bzw. September 2007 mit Zinssenkungen begonnen.

   Dann kam die Juni-Sitzung des EZB-Rats und Präsident Trichet kündigte mit dem damals von allen Beobachtern verstandenen Code-Wort für Juli eine Zinserhöhung an. Diese Episode wäre angesichts der Wucht der auf dem Fuße folgenden Finanzkrise und der anschließenden weltweiten Rezession vielleicht schon in Vergessenheit geraten - wenn die EZB nicht selbst immer wieder an sie erinnern würde.

   Sie tut das mit guten Grund, denn das war der Moment, als die EZB, nach Trichets Diktion, "Preisstabilität lieferte": Als sie gegen die Appelle von Regierungen, gegen die Mehrheitsmeinung der Ökonomen, die Zinsen erhöhte und damit die über 2% gestiegenen Inflationserwartungen wieder einfing.

   Natixis-Chefvolkswirt Patrick Artus hatte den Braten schon im Mai 2008 gerochen. Eine Woche vor der EZB-Ratssitzung Anfang Juni veröffentlichte er eine Research-Note, in der er der Frage nachging, ob es das Risiko gebe, dass die EZB versuchen könnte, ihre Glaubwürdigkeit als Inflationsbekämpferin mit einer weiteren Zinserhöhung zu zementieren ("Is there a risk that the ECB wants to establish an historic credibility?").

   Artus ging davon aus, dass die EZB versuchen würde, in dieser Hinsicht das Erbe der Deutschen Bundesbank anzutreten. Deren Glaubwürdigkeit, so argumentierte er, gehe auf Episoden in den 1980er und 1990er Jahren zurück, als sie die Inflation trotz eines nur schwachen Wachstums und um den Preis einer steigenden Arbeitslosigkeit mit Leitzinserhöhungen bekämpfte. Wolle die EZB ähnliches erreichen, dürfte sich ihr in den kommenden Monaten eine gute Gelegenheit bieten, kalkulierte Artus. Er sollte Recht behalten.

   Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie sich die Dinge ohne Finanzkrise und Lehman-Pleite weiterentwickelt hätten. Volkswirte kritisieren die "letzte" Leitzinserhöhung der EZB jedenfalls bis heute, zumal sich die EZB schon drei Monate später zur Teilnahme an einer weltweit konzertierten Zinssenkungsaktion gezwungen sah. Später senkte sie den Leitzins weiter auf das gegenwärtige Rekordtief von 1,00% und implementierte Schritt für Schritt die inzwischen so bezeichnete "erhöhte Kreditversorgung".

   An dieser, so versicherte Trichet erst kürzlich wieder, will die EZB so lange festhalten, bis sich Geldmarkt und Kreditvergabe normalisiert haben. Er sagte aber auch, "erster Eckpunkt" einer Ausstiegsstrategie sei die Bewahrung mittelfristiger Preisstabilität. So ist es Trichet zufolge denkbar, dass die EZB Maßnahmen der verbesserten Kreditversorgung teilweise aufrecht erhält, während zugleich die Zinsen angehoben werden.

   Nach übereinstimmender Einschätzung ist das zwar kein Thema für die nächsten Monate, doch irgendwann im kommenden Jahr könnte der EZB-Rat wieder vor der Frage stehen, ob er seine Zinsen in einem "wackligen" Wachstumsumfeld erhöhen soll. Je glaubwürdiger der Rat in den Augen der Marktteilnehmer den Anspruch der Inflationsbekämpfung vertritt, umso länger wird er mit tatsächlichen Zinserhöhungen warten können. Insofern hätte sich der stark kritisierte Zinsschritt von Juli 2008 gelohnt.

-Von Hans Bentzien, Dow Jones Newswires, +49 (0)69 29725 300, Hans.Bentzien@dowjones.com DJG/hab/apo (END) Dow Jones Newswires

   September 18, 2009 04:30 ET (08:30 GMT)

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