03.11.2023 09:49:43

Schnabel: EZB muss hartnäckig und wachsam bleiben

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) muss nach den Worten von EZB-Direktorin Isabel Schnabel mit Hartnäckigkeit und Wachsamkeit dafür sorgen, dass nach dem anfänglich raschen Rückgang der Inflation nun auch die "letzte Meile" bis zu glatt 2 Prozent schnell genug gelingt. Schnabel sagte laut veröffentlichtem Text bei einer Rede in St. Louis, der Erfolg werde entscheidend von der Gestaltung der Geldpolitik und ihrer wirksamen Übertragung abhängen. "Die große Ungewissheit bezüglich dieser beiden Faktoren sowie das Risiko neuer angebotsseitiger Schocks, die die Inflation erneut von unserem Ziel wegziehen, machen diesen Teil des Disinflationsprozesses zum schwierigsten", sagte Schnabel.

Der EZB-Rat hatte seine Zinsen Ende Oktober erstmals seit Juli 2022 nicht angehoben und seine Zuversicht ausgedrückt, dass es nach aktuellem Kenntnisstand keine weiteren Zinserhöhungen brauchen werde, um 2 Prozent Inflation zu erreichen. Falls nötig, werde die EZB ihre Geldpolitik aber weiter anpassen. Estr-Forwards preisen keine Zinserhöhung mehr ein, dafür aber 2024 Zinssenkungen von insgesamt fast 100 Basispunkten. Die Inflation war im Oktober auf 2,9 Prozent gesunken. Ausweislich ihrer im September veröffentlichten Stabprojektionen sieht die EZB die Inflation erst Ende 2025 bei 2 Prozent.

Als Preistreiber könnten sich Schnabel zufolge aufgrund von Basiseffekten Energie und Nahrungsmittel erweisen. "Sollten die Energiepreise in den kommenden Monaten so wie im historischen Mittel steigen, wird Energie bis Juli 2024 schätzungsweise fast 1,9 Prozentpunkte zur Gesamtinflation im Euroraum beitragen", sagte sie. Ein stärkerer Anstieg würde auch den Basiseffekt verstärken. Der außerordentlich starke Anstieg 2022 und Anfang 2023 könnte Ähnliches bei den Nahrungsmittelpreisen bewirken - aus einem inflationssenkenden wird ein inflationstreibender Basiseffekt.

"Die Umkehr von Basiseffekten bedeutet, dass eine stetige Disinflation nur mit einem stetigen Rückgang des unterliegenden Preisdrucks zu haben ist", sagte Schnabel. Diese unterliegende Inflation ist Schnabel zufolge aber wegen des Verhaltens von Preisen und Löhnen hartnäckig. Unternehmen verteidigten ihre Margen im vergangenen Jahr durch häufige Preiserhöhungen gegen steigende Input-Kosten. Sie konnten das, weil die Nachfrage auch dank staatlicher Hilfen für private Haushalte stark war. Sinkende Input-Kosten werden aber weitaus zögerlicher an die Kunden weitergegeben.

Löhne werden oft schrittweise festgesetzt und treiben die Kosten der Unternehmen oft erst mit Verzögerungen in die Höhe. "Dabei handelt es sich um die langsam ablaufenden Zweitrundeneffekte der negativen angebotsseitigen Schocks, die die Wirtschaft des Euroraums in den vergangenen Jahren getroffen haben", sagte Schnabel. Damit die Kerninflation so wie in den Stabsprojektionen vorgesehen sinkt, müssen Schnabel zufolge die Lohnstückkosten wieder sinken und die Unternehmen höhere Lohnkosten nicht mehr mit Preiserhöhungen beantworten, sondern niedrigere Margen akzeptieren.

Die EZB steht nach Schnabels Aussage vor der Aufgabe, herauszufinden, wie sich die jüngsten Schocks auf die Angebotsseite der Volkswirtschaft auswirken werden, danach ihre Geldpolitik ausrichten und für eine angemessene Übertragung dieser Politik auf die Wirtschaft sorgen. Unklar sei, wie lange die verzögerte Weitergabe der Zinserhöhungen an den Arbeitsmarkt anhalten werde. Umso wichtiger sei es, dass die Politik hartnäckig bleibe und nicht verfrüht den "Sieg" über die Inflation erkläre.