28.10.2019 10:25:00

Gut geschützt: Die besten Berufsunfähigkeitsversicherungen

Günstige und umfassende Policen gegen Berufsunfähigkeit sind rar. Die besten Angebote - und Alternativen, falls eine komplette Absicherung unerreichbar ist.

Manche Zahl klingt schier ­unglaublich. So vermeldete der Versicherungskonzern Continentale in diesem Früh­jahr, jeder Vierte werde berufs­unfähig. Diese Statistik scheint tatsächlich zu stimmen - zumindest sagt das die Deutsche Aktuarvereinigung, in der sich die Versicherungsmathematiker zusammengeschlossen haben.

Doch wer sich nun wundert, warum er so wenige (oder gar keine) Berufs­unfähige persönlich kennt: Die Statistik wirkt weniger dramatisch, wenn man sie im Detail betrachtet. Zum einen sind nur Menschen erfasst, die eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen haben. Zum Zweiten ist nicht nur dauerhafte, sondern auch lediglich zeitweise Berufsunfähigkeit (BU) erfasst, die im Extremfall nur einige Monate dauert. Zum Dritten gibt es viele nahtlose Übergänge zwischen BU und Alters­rente - die Gefahr, berufsunfähig zu werden, steigt ab 60 Jahren stark an. Viertens gilt schon als berufsunfähig, wer ­seine Tätigkeit nur noch knapp zur Hälfte erfüllen kann. Und zum Fünften dürfen Menschen, die im Tätigkeitsfeld A als ­berufsunfähig gelten, im Tätigkeitsfeld B voll arbeiten und bekommen dennoch oft die komplette Rente.

Gleichwohl: Berufsunfähigkeit - auf welche Weise auch immer sie erfolgt -führt oft zu schweren Einkommenseinbußen. Deshalb tun Erwerbstätige gut daran, eine BU-Versicherung abzuschließen. Doch Vorsicht: Jeder Anbieter kocht sein eigenes Süppchen. Hintergrund ist die Hoffnung, gerade jene Kunden zu bekommen, bei denen eine Berufsunfähigkeit besonders unwahrscheinlich ist.

Konsequenz: Wer exakt ins Raster passt, bekommt einen extrem günstigen Vertrag. Wenn aber auch nur ein Detail abweicht, lehnt der Versicherer mög­licherweise ab, schließt bestimmte BU-­Risiken aus, etwa Rückenleiden oder psychische Erkrankungen. Oder die Prämie schnellt in die Höhe. Wie groß diese Prämienunterschiede sein können, hat die unabhängige Ratingagentur Franke und Bornberg anhand eines Beispielfalls herausgefunden. Wenn ein Einzelhandelskaufmann statt zu 76 Prozent nur ­zu 70 Prozent im Büro arbeitet, zahlt er ­womöglich mehr als das Doppelte der ­ursprünglichen Prämie. Hintergrund: Bürotätigkeit gilt bei Versicherern als eher gesundheitsschonend.

In den Tabellen hat €uro anhand der Daten von Franke und Bornberg die besten Angebote für vier realistische Beispielfälle ­errechnet. Allerdings gilt auch hier: Selbst kleinste Abweichungen vom Beispielfall können zu großen Unterschieden führen.

Generell empfiehlt es sich, Angebote bei mehreren Versicherern einzuholen. Das zeigt eine Studie des unabhängigen Versicherungsmaklers Helge Kühl. Für die Zeitschrift "Ökotest" wertete er vor gut sechs Jahren mehr als 5000 Anfragen für 1100 reale Personen aus. In der ersten Runde hatte er sich an jeweils drei Anbieter gewandt. Ergebnis: Nur vier Prozent der Anträge gingen bei allen Unternehmen durch. Im Schnitt waren fünf Anläufe nötig, bis mindestens eine Offerte mit akzeptablen Preisen und Bedingungen zurückkam.

Wichtig: Wer sich für eine BU-Police interessiert, sollte seine Anfragen nicht auf eigene Faust stellen, betont Bianca Boss, Sprecherin der Verbraucherorganisation Bund der Versicherten (BdV). Wird der Antrag abgelehnt, riskiert man, dass seine Daten im Hinweis- und Informationssystem (HIS) der Versicherungsbranche gespeichert werden. "Eine Ablehnung verringert die Erfolgsaussichten von Anträgen bei anderen Anbietern", warnt Boss.

Mit HIS machen die Versicherer Jagd auf Betrüger und sammeln Daten zur ­Risikoprüfung. Die Auskunftei stellt die Daten nur den Versicherern zur Verfügung, eine gesonderte Einwilligung der Betroffenen ist nicht nötig. Sachbearbeiter, die auf HIS-Einträge stoßen, prüfen Anträge besonders eingehend. Für einen HIS-Vermerk reicht bei einem Antrag für eine BU-Police schon eine Vorerkrankung wie ein Hörsturz, ein gefährlicher Beruf oder eine hohe Versicherungssumme. Boss empfiehlt, vor dem konkreten Antrag mittels anonymer Anfrage zu ermitteln, ob es überhaupt Chancen auf einen Vertrag gibt. Diese Risiko-Voranfrage kann laut Boss über Versicherungsberater und -makler gestellt werden.

Was ist beim Antrag noch zu beachten? "Sich dagegen wappnen, dass der Versicherer im Schadensfall nicht zahlen will", rät Beatrix Hüller, Fachanwältin für Versicherungsrecht, die jahrelang BU-Fälle bei einem Versicherer reguliert hat. Konkret bedeute das: "Erstens: die Antragsfragen zur Gesundheit möglichst exakt beantworten, sonst ist die Gefahr groß, dass der Versicherer mit einer Verweigerungstaktik durchkommt", sagt sie. Zweitens: Wenn ein Vermittler den Antrag ausfüllt, können Fehler passieren, die sich später rächen. "Deshalb sollte man von dem Termin ein ­Gedächtnisprotokoll anfertigen und ­einen Zeugen dabeihaben."

Drittens hält Hüller es für ratsam, vor einem Antrag die Auskunft des Krankenversicherers einzuholen und die Akte des Hausarztes beizufügen. Viertens: "Eine Rechtsschutzpolice bei einer anderen Gesellschaft abschließen oder einen bereits laufenden Vertrag überprüfen, ob dieser auch Versicherungsstreitigkeiten umfasst." Die Police muss vor dem BU-Abschluss mindestens ein Vierteljahr laufen und jene zehn Jahre abdecken, in denen der Versicherer wegen falscher Angaben im Antrag eine Zahlung verweigern kann.

Angesichts dieser berechtigten Skepsis fließt in unserem Test in die Bewertung des Versicherungsangebots auch das Verhalten der Versicherer bei einem Antrag auf BU-Rente ein. Franke und Bornberg hat für viele Anbieter Unternehmensratings vergeben. Bei diesen wurde auch die Regulierungspraxis bewertet und im Ratingverfahren positiv berücksichtigt.

Brutto und netto. Wichtig ist in den ­Tabellen auch die Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoprämie. Die Bruttoprämie beziffert, bis zu welchem Wert der fällige Beitrag im Vertragsverlauf steigen kann. Die Nettoprämie zeigt die aktuelle Beitragshöhe. Wenn der Abstand sehr groß ausfällt, ist das schlecht für den Kunden. Wie schlecht, zeigte sich im Jahr 2018 beim Anbieter WWK. Hier stiegen die Nettoprämien für laufende Verträge teilweise um fast 40 Prozent.

Sollte man angesichts solcher Unsicherheiten überhaupt versuchen, eine BU-Versicherung abzuschließen? Vorausgesetzt, dass man einen bezahlbaren Vertrag bekommt, sagt BdV-Sprecherin Boss klipp und klar: "An dieser Police führt kein Weg vorbei."

Was sollte jemand tun, der an untragbar hohen Prämien oder einer branchenweiten Ablehnung scheitert? Da gibt es einige Alternativen. Sie alle bieten - wenn man eine Parallele zum Auto zieht - quasi Teilkaskolösungen mit unterschiedlichen Umfängen, während BU-Policen der Vollkaskoschutz für die Arbeitskraft sind.

So lesen Sie die Tabellen

Im Mittelpunkt dieses Tests stehen ­sogenannte selbstständige Berufs­unfähigkeitspolicen (SBU), die nicht an andere Verträge gekoppelt sind. Wenn die Absicherung nur zusammen mit anderen Verträgen erhältlich ist, wurde die sogenannte Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) bewertet. Die Daten stammen von der Rating­agentur Franke und Bornberg, die Be­notung ist von €uro.

Untersucht wurden Modellfälle zu vier Berufen (jeweiliger Versicherungsbeginn: 1. September 2019). Bei "Jura­student/-in", "Bankkaufmann/-frau" und "Ver­triebs­leiter/-in" wurden 35 Ta­rife betrachtet, bei "Selbstständige(r) ­Malermeister/-in" 34 Tarife. Die Rahmenbedingungen der Modell­fälle sind: null Prozent körperliche Tätigkeit, End­alter 67 Jahre. Lediglich bei "Selbstständige(r) Malermeister/-in" beträgt der Anteil körperlicher Tätigkeit 50 Prozent und das Endalter 65 Jahre.

Punkte für die Leistungen wurden in zwei Kategorien vergeben: für Tarif beziehungsweise Anbieter ­sowie - abhängig vom Beispiel - für mindestens vier der folgenden sechs Zusatzkriterien: 

Feststellungs- und Leistungs­phase. Es gab Punkte, wenn im Vertrag klar geregelt ist, unter welchen Bedingungen die Berufsunfähigkeit auch zeitlich befristet anerkannt werden kann, wenn verbindliche Bearbeitungsfristen genannt sind und der Versicherte im Leistungsfall beraten wird.

Rentensteigerung im Leistungsfall. Je mehr Rente es durch eine vorteilhafte Überschussbeteiligung geben kann, desto besser.

Beruf und Lebensstellung. Die Lebens­stellung gibt Auskunft über Einkommen und soziale Wertschätzung des Berufs. Wird der Ver­sicherte auf einen anderen Job verwiesen, muss seine Lebensstellung erhalten bleiben. Exakt definiert sein muss auch die zumutbare Einkommensdifferenz zwischen aktuellem und möglichem Alternativjob. Und falls auf ein vorübergehendes Ausscheiden aus dem Beruf das endgültige Aus folgt, sollte die Lebensstellung weiterhin an den Zeitpunkt des Ausscheidens ­gekoppelt sein. Bei Studenten sollte der Tätigkeitsstatus eine besondere Berücksichtigung finden.

Nachversicherungsgarantie (nur bei "Student/-in" und "Bankkaufmann/-frau"). Hier punkteten Versicherer, die auch ohne bestimmte Ereignisse wie Heirat, Karrieresprung oder ­Elternschaft und/oder ohne Fristen und Altersgrenzen nachversichern. Auch positiv ­bewertet: die Nachversicherungs­garantie bei Abschluss einer Berufsausbildung (einschließlich Studium).

Umorganisation (nur bei Selbstständigen). Hier gab es Punkte, wenn die Voraussetzungen für die Umorga­nisation von Selbstständigen genannt werden und auch die zumutbare Einkommensminderung, die bei einer Umorganisation hingenommen werden muss, exakt definiert wird. Der Versicherer sollte sich zudem an den Kosten beteiligen und bei Kleinbetrieben bestenfalls ganz auf eine Umorganisation verzichten.

Wiedereingliederungshilfe (nicht bei Selbstständigen). Wer während seiner Berufsunfähigkeit neue Kenntnisse erwirbt und in einem anderen Beruf ­arbeitet, erhält weniger oder gar keine Rente mehr. Um dennoch den Anreiz für einen solchen Wechsel zu erhalten, bieten leistungsstarke Tarife eine ­Ersatzzahlung an - dafür gab es Zusatzpunkte.

Punktzahl Zusatzkriterien

Zu jedem Leistungspunkt wurden Punkte von null (keine Leistung) bis 100 (volle Leistung) vergeben. Diese Punkte wurden addiert und dann durch die Anzahl der Leistungspunkte dividiert.

Punktzahl Prämie

Parallel dazu wurden auf die Prämien Punkte vergeben. Die Bruttoprämie beziffert, bis zu welchem Wert die Prämie im Vertragsverlauf steigen kann. Sie ging mit zwei Dritteln in die Wertung ein. Der Rest entfiel auf die Nettoprämie, die den aktuellen Wert der Prämie zeigt. Bei "Jurastudent/-in" sind nicht die aktuellen Prämienwerte abgebildet, weil die Prämien in dieser Kategorie in den meisten Fällen mit zunehmender Laufzeit zumindest zeitweise ansteigen. Deshalb haben wir hier mit den Durchschnittsprämien in den ersten fünf Vertragsjahren kalkuliert. 

Für alle vier Modellfälle gilt: Die günstigste Gesamtprämie bekam jeweils 100, die teuerste jeweils null Punkte. Die Tarife dazwischen erhielten Punkte je nach Platzierung. So bekam ein Tarif, dessen Prämie exakt dem Mittelwert entsprach, 50 Punkte.

Punktzahl Rating

100 Punkte gab es, wenn Franke und Bornberg den Tarif mit der Höchstnote FFF+ ("hervorragend") bewertet hat. Schlechteste Note war "mangelhaft"; dafür wurden 20 Punkte vergeben. Die Regulierungspraxis fließt bei Allianz, Ergo, HDI, Nürnberger und Swiss Life ins Rating ein (Infos, wie Franke und Bornberg wertet, ­unter https://www.franke-bornberg.de/ratings).

Gesamtpunktzahl

Die Punkte für die Bereiche "Rating", "Zusatzkriterien" und "Prämie" werden zusammengezählt und dann durch drei geteilt.

Note

100 bis 80 Punkte = sehr gut
79,99 bis 70 Punkte = gut
69,99 bis 60 Punkte = befriedigend
59,99 bis 50 Punkte = ausreichend

Die Ergebnisse des BU-Tests

Die besten Versicherungen bei Berufsunfähigkeit - Student