Eurokrise |
03.02.2013 03:00:00
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Weltfinanzsystem: Am Tropf der Politik
Für das Jahr 2013 zeichnen sich zwei Themenblöcke von grundsätzlicher Bedeutung für die weltweiten Kapitalmärkte ab. Der Erste: Gelingt es, die Weltwirtschaft wieder in Gang zu bringen, eine globale rezessive Entwicklung zu vermeiden und damit auch zur Entschärfung der Schuldenkrise in Europa beizutragen? Der Zweite: Unterstützt die Politik diesen Prozess, oder hemmt sie durch ihre Entscheidungen eine Erholung?
Das erste Thema ist, solange man beim zweiten Ruhe unterstellt, insgesamt positiv zu beantworten. Zwei der drei großen Weltregionen dürften eher positive Wachstumsimpulse geben, nämlich Asien und Amerika, allen voran die USA und China. So haben die Wohnungsmärkte in diesen beiden Ländern eine stabilisierende Wirkung, die Investitionen und die Kreditvergabe signalisieren eine steigende Aktivität außerhalb des staatlichen Sektors, die Frühindikatoren geben Hinweise für eine positive Entwicklung, und in den USA könnte es durch das Thema Schiefergas und -öl (shale gas) zusätzliche langfristige Wachstumsimpulse geben.
Allerdings wird Europa mit rezessiven Entwicklungen zu kämpfen haben, insbesondere in Südeuropa. Gefahren gibt es auch in Frankreich und Großbritannien. Hier wirken sich staatliche Sparmaßnahmen, vor allem aber das fehlende Vertrauen in die Zukunft angesichts der offenkundigen und nicht behobenen Konstruktionsmängel des Euro aus.
Politische Börsen haben kurze Beine – von wegen
Gerade die Situation in der Eurozone zeigt, wie interdependent politische Entscheidungen und Wachstum derzeit sind: Die proklamierte Erreichung bestimmter Defizitziele in einigen Staaten der Eurozone basiert auf eher optimistischen Wachstumsannahmen. Werden diese nicht erfüllt, wird die Politik wieder mit der ganzen Palette von Fragen konfrontiert: Wird dann mehr gespart, werden Defizitziele vertagt, gibt es neue Rettungsprogramme, gibt es über Griechenland hinaus Schuldenschnitte und Notoperationen?
Wie wichtig politische Entscheidungen für die Märkte sind, zeigte ihre Nervosität vor Jahresende aus Angst vor der Fiskalklippe in den USA. Die weiteren Diskussionen über die Schuldenobergrenze in den USA dürften sich bis Ende Februar hinziehen.
In den USA braucht es allerdings nur eine Einigung zwischen zwei Parteien. Dagegen bedürfen Kompromisse in der Eurozone immer der Zustimmung aller 17 Mitglieder. Angesichts der ökonomischen Situation in Europa auf Messers Schneide darf aber weder in den USA noch in Europa etwas schiefgehen. Angesichts der Angst vor dem Euro-Exit oder drohender Default-Diskussionen wird jede neue Notwendigkeit zur akuten Hilfsaktion und jede Wahl wie etwa die in Italien von den Kapitalmärkten überaus kritisch beäugt und stellt eine Bedrohung für einen zuversichtlichen Ausblick der Weltwirtschaft dar.
Nun gibt es die alte Börsenweisheit, dass politische Börsen kurze Beine haben. Sollte man sich wirklich Sorgen machen um Entscheidungen im US-Kongress, in EU-Gremien oder im EZB-Rat respektive dem Fed-Board? Was mit diesem alten Spruch gemeint war und ist, sind politische Einzelevents — von der Rückkehr Napoleons aus Elba bis zum Putschversuch gegen Gorbatschow oder dem Einmarsch Saddam Husseins in Kuwait.
In der aktuellen Situation lässt sich dieser Spruch aber nicht anwenden. Denn die Beine der Politik werden quasi immer länger. Die vormalig alleinigen Epizentren der Kapitalmärkte, die USA und Europa, hängen geradezu am Tropf der Politik. Fiskalpolitik und Geldpolitik haben in ihrem Bestreben, Konjunkturzyklen und Marktimpulse durch immer höhere Verschuldungen und immer niedrigere Zinsen abzufedern, das Bild grundsätzlich verändert. Es geht nicht mehr um Ereignisse, die einen vorgegebenen ökonomischen Trend stören, sondern der ökonomische Trend ist bereits durch Politikentscheidungen überlagert, wenn nicht zum großen Teil determiniert.
Ein Grund für den Spruch, politische Börsen hätten kurze Beine, war sicherlich die Tatsache, dass ein marktwirtschaftliches System die eingebaute Tendenz zu effizienten Lösungen hat, und diese Effizienz letztendlich die Märkte treibt. Anpassungsprozesse laufen im marktwirtschaftlichen System über die Preise, als Beispiel seien genannt: das Sinken oder Steigen der Löhne abhängig von der Wettbewerbsfähigkeit und vom Anteil der Beschäftigten, Zinsaufschläge wegen angenommener Bonitätsdifferenzen, Zinsen über der Inflationsrate als positiver Realzins.
Diese Mechanismen funktionieren zumindest teilweise nicht mehr, weil die Politik sie gerade über die Veränderung von Rahmenbedingungen auszusetzen versucht. Die Erwartung, das marktwirtschaftliche System sich selbst zu überlassen, nährt derzeit sogar Angst. Märkte hoffen auf ein politisches Eingreifen in Gestalt von Rettungsprogrammen oder Notenbankinterventionen. Die Preisanpassung soll nicht mehr über den Markt erfolgen, sondern die Notenbank soll über eine künstliche Preisfestlegung „sicherer“ Assets dazu beitragen, dass die Preisanpassung bei bestimmten risikoreicheren Assets wenn nicht verhindert, so wenigstens vermindert oder zeitlich gestreckt wird. Politisches Ziel ist, Vermögensverluste zu vermeiden, die als Folge einer marktwirtschaftlichen Preisbildung zu befürchten wären.
Hin und Her zwischen
„Risk off“ und „Risk on“
Es ist schon fast widersinnig: Die Kapitalmärkte fürchten den freien Markt, sie setzen auf die Politik. Stellen wir uns vor, die EZB würde ausschließen, als Nachfrager für Staatsanleihen aufzutreten, sie würde die Wertaufbewahrungsfunktion des Gelds mit kurzfristigen Zinsen über der Inflationsrate wiederherstellen, sie würde Sicherheiten nur zu strengsten Maßstäben annehmen — wie würden die Kapitalmärkte reagieren?
Folglich ist für 2013 eine Fortsetzung des Hin und Her zwischen Risk-on-Phasen und Risk-off-Phasen wahrscheinlich. In ersteren werden risikoreiche Anlageformen bevorzugt, getrieben von der Hoffnung auf eine bessere Konjunktur und weitere politische Unterstützung. In Risk-off-Phasen ziehen sich Anleger aus Angst vor politischen Fehlern oder Einstellung der politischen Unterstützung auf risikoarme Anleihen zurück.
Ohne politische Unfälle sollte sich für 2013 ein Bild ergeben, das zwar die hohen Returns des Jahres 2012 nicht wiederholen kann, in dem aber Aktien von der Suche nach Ertrag und der höheren Risikobereitschaft profitieren sollten — auch wenn die Gewinndynamik kaum überzeugt und das Aufwärtspotenzial deswegen auf den einstelligen Prozentbereich limitiert bleiben dürfte. Renditen langer Bundesanleihen sollten sich im Zuge einer Normalisierung wenigstens auf die Inflationsrate zubewegen, auch wenn damit noch kein Ende der Niedrigzinsphase eingeläutet wäre. Insgesamt sollte der Anleger in der Breite der Kapitalanlagen nicht auf ein fettes Jahr hoffen, insbesondere nicht in Europa.
zur Person:
Jürgen Callies,
Leiter Research
bei der MEAG
Nach dem Studium der Volkswirtschaften und der Promotion im Bereich Technologie und Außenhandel ist Callies seit mehr als 20 Jahren in
verschiedenen Funktionen im Kapitalmarktresearch tätig. Seit 2002
ist er Leiter Research
bei der MEAG.
Die MEAG ist der Vermögensverwalter der Versicherungen Munich Re und Ergo. Insgesamt verwaltet die MEAG Kapitalanlagen von derzeit mehr als
220 Milliarden Euro.
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