24.01.2017 21:37:56
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WAZ: Die Mär vom Märtyrer Sigmar Gabriel - Leitartikel von Andreas Tyrock zur Entscheidung Sigmar Gabriels
Doch der Reihe nach: Sigmar Gabriel hatte von seiner Partei stets ein geordnetes Kandidaten-Verfahren gefordert und zugleich Selbstdisziplin der Parteispitze zugesagt. Dass er dieses Versprechen derart brachial brach, lässt auf einen tiefgehenden Frust wegen seiner schlechten Wahlaussichten und/oder massiven Ärger über seine Partei schließen.
Sigmar Gabriel hat kapituliert. Er hatte die SPD in einer schwierigen Zeit übernommen, nach innen einigermaßen stabilisiert, zugleich aber nie aus dem Tal der Tränen führen können. Sollte es im Herbst in Berlin zur Fortsetzung der Großen Koalition oder einer sonst wie gearteten SPD-Regierungsbeteiligung kommen, könnte er noch einen Ministerposten ergattern, vielleicht sogar Außenminister bleiben. Dann wäre er ein Gewinner seines gestrigen Coups. Dabei geht es aber, ausdrücklich, nur um ihn selbst. Im Falle einer Nichtbeteiligung der SPD wäre die Karriere Sigmar Gabriels als Spitzenmann beendet. Zurück bliebe ein emotionaler, manchmal unberechenbarer, gewiefter, von der breiten Öffentlichkeit nie wirklich gemochter Vollblutpolitiker, der in seinem Leben keine einzige wichtige Wahl gewann. Dieser Malus verfolgt ihn schon seit seiner Zeit als niedersächsischer Landespolitiker.
Nun also Martin Schulz. Er ist beliebter als Gabriel, was aber noch nicht als Leistung gelten kann. Allerdings ist er nach Gabriel die einzige Alternative für die Kanzlerkandidatur der Sozialdemokraten. Dass neben Martin Schulz auch Hamburgs Regierender Bürgermeister Olaf Scholz hin und wieder als möglicher Merkel-Herausforderer genannt wurde, sagt viel über das Spitzenpersonal der SPD im Bund aus.
Aus Sicht der Parteistrategen kann es jetzt nur um zwei Dinge gehen: Erstens muss mit Blick auf die NRW-Landtagswahl im Mai schnellstmöglich Ruhe in der SPD einkehren, um an der Basis das Vertrauen in das Wirken von "denen da oben" nicht gänzlich zu zerstören. Hier kommt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die entscheidende Rolle zu. Für sie gilt es, die potenziellen SPD-Wähler zum Gang an die Urnen zu motivieren.
Zweitens steht Martin Schulz in der Pflicht, die SPD in seinem Heimatland NRW uneingeschränkt zu unterstützen und sich zugleich bundesweit zu profilieren. Da hat er den größten Nachholbedarf. Deshalb ergibt eine zügige Übernahme des SPD-Parteivorsitzes Sinn. Doch fernab von diesen taktischen Überlegungen hinterlässt der gestrige fliegende Wechsel an der Spitze der Sozialdemokraten einen unangenehmen Beigeschmack. Mit Vertrauen und Verlässlichkeit hat das alles wenig, mit einem geordneten Verfahren hat es gar nichts zu tun.
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