30.04.2013 20:05:31

UPDATE: Letta bekennt sich zum Sparen

   --Kuschelkurs bei Merkel in Berlin

   --Erster Auslandsbesuch nach Wahl

   (NEU: Mehr Details, Hintergrund)

   Von Stefan Lange

   BERLIN--Der neue italienische Ministerpräsident Enrico Letta hat seine Ankündigung zur Abkehr von einem rigorosen Sparkurs überraschend relativiert. "Wir wollen kein Europa der Schulden", sagte Letta, der am Dienstag bei seinem ersten Auslandsbesuch in Berlin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Station machte. "Wir werden weiter auf der Straße der Haushaltskonsolidierung voranschreiten", betonte Letta. Die öffentlichen Finanzen müssten in Ordnung gebracht werden. Man müsse aber auch genau so viel Energie auf das Wachstum verwenden. Bei seiner Antrittsrede hatte Lette noch erklärt, der Sparkurs mache sein Land kaputt.

   "Wir müssen wieder Vertrauen herstellen in die Politik und die Institutionen", versprach Letta. In der nunmehr fünf Jahre währenden Krise habe es noch keine ausreichenden Lösungen gegeben, "weil es nicht genug Europa gegeben hat. Und das genau ist die stärkste Verpflichtung meiner Regierung überhaupt. Und genau das wollen wir zusammen mit der deutschen Regierung erreichen", sagte Letta.

   Der Frage, wie er die versprochenen Steuersenkungen gegenfinanzieren wolle, wich Letta aus. "Wir werden unsere Verpflichtungen absolut einhalten", erklärte er. Seine Regierung werde die "entsprechenden Mittel zur Gegenfinanzierung finden".

   Merkel: Wachstum und Sparen gehören zusammen

   Merkel betonte erneut, Haushaltskonsolidierung und Wachstum dürften kein Gegensatz sein. "Ich sage es gerne noch einmal: Solide Finanzen und Wachstum sind nicht in irgendeiner Weise Gegensätze". Diese beiden Dinge müssten immer zusammen betrachtet werden. "Wir stehen zum Fiskalpakt, aber gleichzeitig brauchen wir natürlich auch Wachstum. Wir haben uns auch für ein Wachstumspakt entschieden." Die CDU-Vorsitzende lobte gleichzeitig, Italien sei bei der Krisenbewältigung schon ein gutes Stück vorangekommen.

   Nach der Bestätigung durch das Abgeordnetenhaus am Montag hatte sich Lettas Regierung unmittelbar vor dem Besuch des Ministerpräsidenten bei Kanzlerin Merkel dem Vertrauensvotum des Senats in Rom gestellt. Das 21-köpfige Kabinett des 46 Jahre alten Letta wird von einer breiten Koalition aus Sozialdemokraten, Konservativen und Zentrumsbewegung getragen. Die Zustimmung in der kleineren der beiden Parlamentskammern war am Dienstag reine Formsache: 233 Parlamentarier votierten mit Ja, 59 mit Nein.

   Nach den Parlamentswahlen Ende Februar - sie waren nach dem Rücktritt des parteilosen Ministerpräsidenten Mario Monti vorgezogen worden - stand das Land zunächst ohne handlungsfähige Regierung dar. Dringend erwartete Reformschritte blieben bislang aus, mit Spannung wird jetzt in den anderen EU-Staaten und vor allem in Deutschland beobachtet, wie der linksliberale Letta sein Land aus der Krise führen will.

   Die ersten Ankündigungen Lettas waren zwiespältig. Der Sozialdemokrat kritisierte den bisherigen Sparkurs seines Landes. Austerität - also ein hartes Sparen - sei "nicht mehr ausreichend", sagte Letta. Genau dieser Sparkurs würge sein Land ab, erklärte Letta.

   Front der Sozialdemokraten gegen Merkel?

   Im Berliner Kanzleramt werden Lettas Worte derzeit genau analysiert, denn der Italiener reiht sich nahtlos in die Reihe von Politikern wie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ein, nach dessen Einschätzung die strikte Sparpolitik in Europa zu den Akten gelegt werden muss. Auch die Franzosen blasen in dieses Horn, die regierenden Sozialisten von Staatspräsident Francois Hollande griffen jüngst Kanzlerin Merkel wegen ihrer Europapolitik scharf an und sorgten für weitere Misstöne im ohnehin schon angespannten deutsch-französischen Verhältnis. Das bringt Unruhe in die EU und setzt vor allem Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel im Wahlkampfjahr unter Druck.

   Die Nerven liegen schon ein wenig blank, Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) sah sich gar genötigt, die "unsachlichen Angriffe" aus Frankreich als "unangemessen" zurückzuweisen. Diese zeigten "vor allem die erhebliche Verzweiflung, in der sich die französischen Sozialisten aufgrund der Tatsache befinden, dass sie auch ein Jahr nach ihrer Regierungsübernahme noch keine überzeugenden Antworten auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Probleme ihres Landes finden".

   Und dann ließ Schockenhoff noch die Katze aus dem Sack: Die französischen Sozialisten, erklärte er, "werden auch nach der Bundestagswahl mit der Bundeskanzlerin zusammenarbeiten müssen." Es gibt in der Tat mittlerweile nicht wenige in der Bundesregierung, die mutmaßen, Hollande spekuliere auf einen Machtwechsel in Berlin und gehe tiefgreifende Reformen bis zur Bundestagswahl im September bewusst nicht an.

   Letta hatte bereits in Rom erklärt, die EU müsse mehr Anstrengungen unternehmen, um zu einem "Motor nachhaltigen Wachstums zu werden". Da schielt der Italiener auf den Europäischen Rat im Juni, bei dem die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ganz groß auf der Agenda steht. Die diplomatischen Gespräche laufen auf Hochtouren, um bis dahin zu einem einigermaßen einheitlich Kurs zu kommen.

   Wettbewerb um die Wettbewerbsfähigkeit

   Regierungssprecher Steffen Seibert drückte es am Montag in Berlin so aus: Es werde ja darum gehen, "dass wir uns einigen, was wir eigentlich meinen, wenn wir Wettbewerbsfähigkeit als Ziel formulieren" und welche Indikatoren dafür entscheidend seien. Außerdem müsse klar sei, ob "wir" alle europäischen Länder oder alle Länder der Eurozone bedeute.

   Die Gespräche und die Arbeiten dazu liefen, erklärte Seibert und brachte die Zielungenauigkeiten auf den Punkt: "Viele europäische Länder führen den Begriff der Wettbewerbsfähigkeit zu Recht im Munde. Sind wir uns immer einig darüber, was wir damit meinen? Sind wir uns über den Weg, wie man dorthin kommt, einig?"

   Das sei es, was in Brüssel besprochen werden müsse "und hinsichtlich dessen wir auch präzise werden müssen". Als ein Beispiel nannte Seibert die Forschungsförderung, ein Lieblingsthema von Kanzlerin Merkel. Seibert machte aber auch deutlich, dass Deutschland ungeduldig ist. "Die Dinge müssen spezifisch werden", forderte er.

   Ob sich die Länder weiter annähern, bleibt fraglich. Störfeuer gibt es ständig; so forderte Lettas Industrieminister Flavio Zanonato laut der Zeitung La Repubblica eine Neuverhandlung des EU-Stabilitätspaktes - jenes mühsam ausgehandelten Vertragswerkes also, das den EU-Staaten strenge Regeln bei der Haushaltsführung auferlegt.

   Kontakt zum Autor: stefan.lange@dowjones.com

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   April 30, 2013 13:35 ET (17:35 GMT)

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