08.11.2014 18:19:31

Spaniens Süden blickt voll Angst nach Katalonien

   Von Matt Moffett

   MÉRIDA-Katalonien stimmt am Sonntag symbolisch über seine Unabhängigkeit ab. Aber während die reiche Region im Norden Spaniens mit der Abspaltung kokettiert, geht tief im Süden des Landes die Angst um.

   Seit Jahrzehnten werden die weniger entwickelten Provinzen im Süden mit den Steuereinnahmen der wirtschaftlich stärkeren Regionen wie Katalonien subventioniert. Aber nachdem Europa schon das sechste Jahr der Krise durchlebt, sehen immer mehr Katalanen die Transfers kritisch. Sie verdächtigen die Politiker im Süden, ihr Geld zu verprassen. Daher kommt es trotz eines Verbots durch das spanische Verfassungsgericht am Sonntag zu einem Referendum, das allerdings keine rechtlichen Auswirkungen hat. Die Führer der Separatisten erhoffen sich trotzdem durch ein starkes "Ja" Rückenwind für ihr Anliegen.

   Die Einwohner von Mérida, Hauptstadt der Region Extremadura, beobachten das mit einer Mischung aus Angst und Empörung. "Wenn Kalifornien entscheiden würde, die USA zu verlassen, weil es die Steuern satt hat, wie würden sich dann wohl die Leute in Alabama fühlen?", sagt Juan Rodríguez Plaza, ein Sprecher der Regionalregierung.

   Das Pro-Kopf-Einkommen in der Extremadura liegt bei nur 60 Prozent des Einkommens in Katalonien. Die Arbeitslosigkeit ist um acht Prozentpunkte höher. Ohne die Start-up-Szene oder die Luxushotels von Barcelona hängt Mérida von seinen berühmten römischen Ruinen als Geldbringer ab - und von den Transferleistungen, die über die Zentralregierung fließen.

   José Antonio Monago, der konservative Regierungschef von Extremadura, ist berüchtigt für seine Verbalattacken auf Katalonien. Er verweist sarkastisch darauf, dass sich die Katalanen nach Andorra wenden sollten, wenn sie mehr Geld wollten. Ein früherer katalanischer Spitzenpolitiker hatte kürzlich eingestehen müssen, in der Steueroase in den Pyrenäen ein Schwarzgeldkonto geführt zu haben.

   Monago schlägt auch vor, dass ganz Spanien über die Unabhängigkeit Kataloniens abstimmen solle. "Wir sind nur passive Zuschauer", beklagt er sich.

   Ein Sprecher der katalanischen Regierung erklärt, man achte nicht auf Monago, da er "nicht sehr seriös" sei. Die spanische Nachrichtenwebseite Público berichtete kürzlich, dass er in den Jahren 2009 und 2010 32 Mal auf Staatskosten auf die Kanarischen Inseln flog, um dort seine Geliebte zu besuchen. Bei einer Pressekonferenz am Freitag erklärte Monago, es habe sich um Dienstreisen gehandelt. Die Opposition fordert ein Untersuchungsverfahren.

   Die Katalanen antworten auf die Kritik an ihrem Unabhängigkeitsstreben, indem sie ihre Tabellen herausholen. Nach Berechnungen der Regionalregierung entsprechen die Transfers aus Katalonien an den Rest des Landes 8 Prozent der Wirtschaftsleistung. Anders gerechnet: Von jedem Euro Steuern, die Katalanen zahlen, gehen 43 Cent in andere Regionen. "Als das Zugsystem um Barcelona zusammengebrochen ist, haben sich die Leute die Zahlen angeschaut und entschieden, dass es genug ist", sagt der katalanische Volkswirt Miquel Puig Raposo, der sich für die Unabhängigkeit ausspricht.

   Die Regierung in Madrid bestreitet diese Berechnungen aus Katalonien. Und besonders während der Wirtschaftskrise habe die Region davon profitiert, zu Spanien zu gehören.

   Zwei weitere Regionen im Norden, das Baskenland und Navarra, haben gesonderte Vereinbarungen mit Madrid geschlossen, laut denen sie ihre eigenen Steuern eintreiben. Daher leisten sie nicht so hohe Transfers wie Katalonien, sagen Volkswirte.

   Besonders gern empören sich die Katalanen über teure Projekte, die nun nutzlos im Süden die Landschaft verschandeln - etwa eine 70 Millionen Euro teure Brücke in der Region Kastilien-La Mancha, die zu einem Kuhpfad führt. Oder ein verlassener Flughafen dort, der 1 Milliarde Euro gekostet hat.

   Vor wenigen Jahren hatte Monago dafür geworben, eine Schnellzugstrecke in die Extremadura zu bauen. Der Bürgermeister von Barcelona, Xavier Trias, nannte das Vorhaben eine Katastrophe". Trias zog den Vergleich: "Man hilft seinem Bruder und steckt ihm jeden Monat ein wenig Geld zu. Und dann kauft er sich das neueste Audi-Modell." Monago antwortete darauf mit einer katalanischen Unflätigkeit und forderte Trias auf, "mir das ins Gesicht zu sagen".

   Der Streit ums Geld verschärft die traditionell gepflegten Animositäten zwischen den spanischen Regionen. In einer Studie des Sozialpsychologen José Luis Sangrador García aus dem Jahr 1996 sollten die Teilnehmer die Eigenschaft nennen, die sie am meisten mit den Einwohnern der verschiedenen Landesteile verbinden. Katalanen wurden dabei zumeist als tacaño" bezeichnet - als Geizhälse.

   In der gleichen Untersuchung kam heraus, dass Katalanen unbeliebter sind als die Bewohner aller anderen spanischen Regionen. Sie erhielten auf einer Skala von 1 bis 10 die Note 4,8. Die Menschen aus der Extremadura schnitten mit 6,4 deutlich besser ab. Selbst die Basken bekamen trotz des ETA-Terrors damals eine 5,8. Sangrador sagt, dass sein Ergebnis heute wohl nicht anders ausfallen würde.

   Kritiker sagen, dass der Stolz der Katalanen auf ihre Erfolge oft die Grenze zur Arroganz überschreitet. 2011 sorgte der katalanische Politiker Josep Antoni Duran Lleida für Empörung, als er Staatshilfen für Landarbeiter im Süden kritisierte. "Unsere Kleinbauern können nichts ernten, weil kein Geld da ist. Währenddessen geben sie in anderen Teilen Spaniens unser Geld in der örtlichen Bar aus", sagte er.

   Doch abseits aller Häme sind die Regionen im Süden tatsächlich stark vom Staat abhängig, sagen Volkswirte. Nirgendwo in Spanien ist der Anteil der Arbeitsbevölkerung im Staatsdienst höher als in der Extremadura. Hier sind es fast 30 Prozent - in Katalonien nur die Hälfte.

   Die fehlende Dynamik in der Privatwirtschaft hat historisch gesehen zu einer Abwanderung in den Norden geführt, besonders in den 1960er Jahren. Monago sagt, er habe mehr Verwandte in Katalonien aus in der Extremadura. "Es waren unsere Leute, die die katalanische Wirtschaft aufgebaut haben. Sie haben für große Konzerne gearbeitet und haben dafür wenig erhalten", sagt Francisco Fernándet, der ein Lebensmittelgeschäft nahe des zentralen Platzes von Mérida betreibt. "Das Ergebnis ist, dass ich heute weniger potenzielle Kunden habe."

   Die Extremadura hat heute 1,1 Millionen Einwohner, weniger als 1960. In Katalonien leben 7,6 Millionen Menschen. Ein sozialistischer Politiker hat sogar schon gefordert, Katalonien solle im Fall einer Abspaltung 150.000 Einwanderer aus der Extremadura zurückgeben.

   Doch viele dieser Einwanderer haben daran gar kein Interesse. "Man sagt, die Kuh geht dahin, wo es Gras gibt", sagt Eduardo Reyes, der eine Separatistengruppe Súmate leitet, die sich an nicht katalanisch sprechende Einwohner und Zugezogene richtet. Seine Eltern wanderten aus Andalusien ein. Dort herrschten immer noch feudale Strukturen. Große Teile des Landes seien unter Kontrolle mächtiger, teils adliger Familien.

   Monago wirft Súmate vor, am Stockholm-Syndrom zu leiden, bei dem sich Geiseln mit ihrem Entführer solidarisieren. "Im Süden leben sie in der Vergangenheit", sagt Reyes. "Ich kämpfe für Katalonien, weil es das Land ist, dass mir und meiner Familie eine Chance eröffnet hat."

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