09.06.2024 19:52:38

ROUNDUP 4: Union siegt bei Europawahl - AfD liegt vor SPD und Grünen

(neu: weitere Reaktionen)

BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - CDU und CSU haben die Europawahl in Deutschland mit großem Abstand gewonnen. Die AfD legt nach Hochrechnungen von ARD und ZDF stark zu und erreicht Platz zwei - erst dahinter folgt die SPD. Die Grünen liegen mit heftigen Verlusten auf dem vierten Platz. Die FDP verliert leicht, während die Linke stark absackt - und von der neuen Partei BSW von Sahra Wagenknecht überholt wird. Es ist ein Dämpfer für die Ampel-Koalition - alle drei Regierungsparteien verlieren Wähler.

Den Hochrechnungen vom Sonntagabend zufolge steigert sich die Union leicht auf 30 Prozent (2019: 28,9). Die AfD erreicht mit 16,2 bis 16,4 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung (2019: 11) - es fällt allerdings niedriger aus als zwischenzeitliche Umfragewerte. Die SPD sackt ab auf 13,9 bis 14 Prozent (15,8) - es ist ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl überhaupt. Die Grünen rutschen ab auf 12 bis 12,2 Prozent (20,5). Nur leicht verliert die FDP, die auf 4,8 bis 4,9 Prozent (5,4) kommt. Zusammen konnten SPD, Grüne und FDP nur rund 31 Prozent der Stimmen gewinnen.

Die Linke landet bei mageren 2,7 bis 2,8 Prozent (5,5) - ihr schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen. Die Partei BSW erreicht aus dem Stand 5,7 bis 6,1 Prozent. Die Partei Volt liegt bei 2,6 bis 3 Prozent.

Bei der Europawahl in Deutschland gilt anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen keine Sperrklausel, also etwa eine Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung liegt laut Hochrechnungen bei 65 Prozent. 2019 waren es 61,4 Prozent, damals lag Deutschland auf Platz 5 im Vergleich der 27 EU-Staaten. Erstmals durften in Deutschland bei einer Europawahl auch 16- und 17-Jährige abstimmen.

Söder: Ampel de facto abgewählt

SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnete das Wahlergebnis als "bittere Niederlage". "Es gibt nichts schönzureden", sagte er in der Berliner SPD-Zentrale. Man werde nun aufarbeiten, wie es zu diesem Ergebnis habe kommen können. "Dass Dinge anders werden müssen, ist - glaube ich - glasklar." SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert äußerte sich ähnlich. Über die Person von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gebe es aber keine Diskussion zu führen, sagte er in der ARD.

CDU-Chef Friedrich Merz forderte die Bundesregierung auf, schon in den nächsten Tagen ihren Kurs zu korrigieren. Das sei im Interesse des Landes dringend notwendig. Der Wahlabend sei für die Ampel vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr nun "die wirklich letzte Warnung". Die Koalition von SPD, Grünen und FDP schade Deutschland. Das gelte für die Innenpolitik, beispielsweise mit den Entscheidungen zu Migrationsfragen, aber auch für die Wirtschaftspolitik. CSU-Chef Markus Söder sagte: "Die Ampel ist de facto von den Bürgerinnen und Bürgern abgewählt worden."

AfD-Chef Tino Chrupalla nannte das Ergebnis seiner Partei "historisch". "Ich höre, wir sind im Osten bei dieser Wahl jetzt stärkste Kraft, mehr Rückenwind gibt's ja nicht", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September.

Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang reagierte enttäuscht auf die Stimmenverluste ihrer Partei. "Das ist nicht der Anspruch, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind, und wir werden das gemeinsam aufarbeiten", sagte die Co-Parteichefin in der ARD.

Die FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann betonte, dass die Partei ihr Ergebnis der letzten Europawahl in etwa gehalten habe. "Das es jetzt eine stabile fünf Prozent ist, ist eine gute Nachricht", sagte sie in der Parteizentrale in Berlin. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wich der Frage aus, ob er noch Vertrauen zum Bundeskanzler habe. "Darum geht es doch jetzt nicht", sagte Djir-Sarai in der ARD.

Linken-Parteichef Martin Schirdewan sprach von einem bitteren Abend. Es sei der Linken nicht gelungen, mit ihren Themen durchzudringen, obwohl diese an den Alltagssorgen der Menschen angedockt seien - Löhne, Mieten, die Preisentwicklung, die Umverteilung von oben nach unten, sozialer Klimaschutz und Friedenspolitik, sagte er in Berlin. Man habe sich gegen den Rechtsruck und gegen die Beharrungskräfte der anderen Parteien nicht durchsetzen können.

BSW-Parteigründerin Wagenknecht äußerte sich froh und erleichtert über das Abschneiden ihres Bündnisses. Es gebe "ein großes Potenzial", das sie bei folgenden Wahlen ausbauen wolle. Wagenknecht bekräftigte, dass sie eine diplomatische Initiative im Krieg Russlands gegen die Ukraine für nötig halte. "Viele Menschen machen sich Sorgen, dass der Krieg auch zu uns kommt."

Plus für rechte Parteien erwartet

In vielen EU-Staaten, darunter Deutschland, war mit einem deutlichen Plus für rechte Parteien gerechnet worden. So hatten Umfragen vor der Wahl die AfD zwischenzeitlich bei mehr als 20 Prozent gesehen. Vorwürfe gegen ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah und die Nummer zwei auf der Europawahl-Liste, Petr Bystron, brachten die Partei aber in Schwierigkeiten. Beide gerieten wegen möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken in die Schlagzeilen, im Fall Krah geht es zudem um mögliche China-Verbindungen.

Gegen Bystron wird wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit und der Geldwäsche ermittelt. Krah, seit 2019 Europaabgeordneter, erntete zuletzt außerdem massive Kritik für verharmlosende Äußerungen über die SS, die sogenannte Schutzstaffel der Nationalsozialisten. Der Bundesvorstand der AfD forderte Krah daraufhin dazu auf, im Wahlkampf nicht mehr öffentlich aufzutreten. Die rechte Fraktion ID (Identität und Demokratie) im Europaparlament schloss als Konsequenz alle deutschen AfD-Abgeordneten aus.

In den 27 EU-Staaten waren rund 360 Millionen Bürger wahlberechtigt, davon knapp 61 Millionen Deutsche. Gewählt wurden von Donnerstag bis Sonntag - je nach Land - 720 Abgeordnete für das neue Europäische Parlament, davon am letzten Tag 96 in Deutschland. Abgesehen von der Parlamentswahl in Indien ist es die größte demokratische Abstimmung weltweit - und die einzige Direktwahl über Staatsgrenzen hinweg.

Krisenreiche Jahre seit der Europawahl 2019

In den fünf Jahren seit der letzten Europawahl 2019 haben einschneidende Krisen die EU in Atem gehalten: eine Pandemie mit Zehntausenden Toten und anschließender Wirtschaftskrise, der russische Überfall auf die Ukraine mit folgender Energiekrise, eine wieder starke Migration nach Europa sowie zuletzt der Gaza-Krieg und Wetterkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen infolge der verschärften Klimakrise.

Kommissionspräsidentin von der Leyen strebt zweite Amtszeit an

Nach der Wahl schließen sich die meisten Abgeordneten einer der Fraktionen im EU-Parlament an, also der christdemokratischen EVP, den Sozialdemokraten, den Liberalen, Linken, Grünen oder einer der beiden rechtsgerichteten Gruppen.

Eine der ersten Aufgaben des neuen Parlaments ist die Bestätigung der neuen EU-Kommission, der Exekutive der Union. Die bisherige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) strebt eine zweite Amtszeit an. Die frühere Bundesverteidigungsministerin bewarb sich im Gegensatz zu den anderen Kandidaten nicht um einen Sitz im Europäischen Parlament.

Parallel zur Europawahl wurde in acht Bundesländern auch auf kommunaler Ebene gewählt: in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In Thüringen wurde zudem in Stichwahlen über zahlreiche Landräte und Oberbürgermeister entschieden./kli/DP/he

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