06.09.2015 12:00:46
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Ratlosigkeit und Schuldzuweisungen beherrschen EU-Flüchtlingsdebatte
LUXEMBURG (AFP)--Die EU gibt in der Flüchtlingskrise ein zunehmend zerstrittenes Bild ab. Die von der Bundesregierung gebilligte Weiterreise tausender Flüchtlinge aus Ungarn hat die Debatte um Europas fehlende Strategie weiter angefacht. Trotz aller Appelle zur Geschlossenheit dominierten Ratlosigkeit und Schuldzuweisungen das Treffen der EU-Außenminister am Wochenende in Luxemburg. Ihnen gelang es nicht, die Kluft zwischen West- und Osteuropäern zu überwinden.
Während Europas Chefdiplomaten am Freitagabend zu einer Audienz bei Luxemburgs Großherzog Henri waren, liefen zwischen Budapest, Wien und Berlin die Telefondrähte heiß. Am Ende einigten sich die drei Staaten darauf, tausende Flüchtlinge von Ungarn aus über die österreichische Grenze zu lassen - von wo aus die meisten weiter nach Deutschland wollten.
Bei mehreren EU-Partnern stieß dieses Vorgehen auf Unverständnis. Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak warnte vor einer "Sogwirkung" und einer "Einladung" an die Flüchtlinge, wenn Europa die Regeln zu Grenzsicherung und Asyl über Bord werfe. Tatsächlich machten sich in Ungarn hunderte Menschen noch am Samstag zu Fuß von Budapest und aus Flüchtlingslagern Richtung Grenze auf.
Ganz geheuer war den Österreichern die Notaktion von Samstagnacht nicht. Auch wenn die Krise in Ungarn "sehr menschlich gelöst" worden sei, müsse dies "uns schon auch die Augen öffnen, wie verfahren die Situation in Europa mittlerweile ist", sagte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz.
Klar Deutschland ins Visier nahm erneut Ungarn: Die dortige Lage sei "erstens Folge einer gescheiterten Migrationspolitik der Europäischen Union und zweitens einer Reihe von unverantwortlichen Erklärungen durch europäische Politiker", sagte Außenminister Peter Szijjarto. In der Hoffnung auf eine Weiterreise nach Deutschland seien die in Ungarn ankommenden Flüchtlinge "immer aggressiver geworden" und hätten sich geweigert, in Aufnahmelager zu gehen, um sich nach den EU-Vorgaben registrieren zu lassen.
Ungarn hatte schon in den vergangenen Tagen kritisiert, dass Deutschland das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrer ausgesetzt hat. Danach müssen Flüchtlinge Asylanträge in der EU grundsätzlich in dem Land stellen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten. Die deutschen Behörden schicken Syrer nun nicht mehr zurück, sondern lassen sie in Deutschland Asylanträge stellen.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, die Weiterreiseerlaubnis von Samstagnacht solle eine Ausnahme bleiben und "gerade keine Praxis für die nächsten Tage" werden. Ungarn müsse seine Verpflichtungen aus dem Dubliner Abkommen einhalten - also Flüchtlinge registrieren, versorgen und Asylverfahren abwickeln. Doch in den vergangenen Tagen hatten Flüchtlinge mit "Deutschland, Deutschland"-Rufen immer wieder deutlich gemacht, dass sie keinesfalls in Ungarn bleiben wollen.
Und die Ankunftszahlen dürften weiter steigen. Österreichs Außenminister Kurz zufolge kommen etwa im Balkanland Mazedonien täglich tausende an, "um weiter nach Österreich, Deutschland oder Schweden zu ziehen". Anders als bei der Flüchtlingsroute über das Mittelmeer würden auf der Westbalkanroute auch im Winter die Zahlen nicht sinken.
Beilegen konnten die Außenminister den Streit mit osteuropäischen Staaten nicht, die sich strikt gegen Pläne von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stemmen, insgesamt 160.000 Flüchtlinge über Quoten auf die EU-Staaten zu verteilen. Angesichts der dramatischen Bilder der vergangenen Tage sah Steinmeier aber zumindest die Bereitschaft, "sich stärker an einer europäischen Gesamtverantwortung zu beteiligen"
Die Osteuropäer kontern die auch von Deutschland geforderte Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme aber vorerst weiter mit der Forderung, die EU müsse zunächst dafür sorgen, dass die geltenden Regeln zur Grenzsicherung und Asyl wieder eingehalten werden. Angesichts der Brisanz und Dringlichkeit der Situation wirbt nun auch Steinmeier dafür, das Flüchtlingsthema schnell zur Chefsache zu machen, und schlägt für Anfang Oktober einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vor.
DJG/AFP/kgb (END) Dow Jones Newswires
September 06, 2015 05:29 ET (09:29 GMT)- - 05 29 AM EDT 09-06-15
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