24.02.2022 21:10:39

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Viel Handel, wenig Wandel, Kommentar zum Krieg gegen die Ukraine von

Lutz Knappmann

Frankfurt (ots) - Russland greift ein souveränes und demokratisches Land in

Europa an. Die Invasion russischer Bodentruppen in der Ukraine, die Luft- und

Raketenangriffe auf Ziele im gesamten ukrainischen Staatsgebiet sind eine

historische Zäsur. Sie markieren einen dramatischen Rückfall in dunkelste Zeiten

territorial motivierter Geopolitik.

Dass in der Nacht zum Donnerstag der Krieg nach Europa zurückgekehrt sei, diese

Wahrnehmung ist freilich falsch. Seit acht Jahren herrscht Krieg in der

Ostukraine, sterben Menschen im Konflikt um die von Russland annektierte Krim

und um die Separatistengebiete Donezk und Luhansk. In der jüngeren Vergangenheit

geschah das allerdings weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit.

Erst als der Aufmarsch von mehr als 100000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine

Russlands aggressiven Kurs unübersehbar machte, festigte sich im Westen die

Erkenntnis, dass Wladimir Putin zu einem klaren Bruch des Völkerrechts bereit

sein könnte. Dass man in der Konzentration auf lukrative Wirtschaftsbeziehungen

und eine sichere Rohstoffversorgung die imperialistischen und nationalistischen

Ambitionen des Moskauer Regimes unterschätzt hat - sogar noch nach der Annexion

der Krim. Und dass die Strategie vom "Wandel durch Handel" zwar sehr viel

Handel, aber ziemlich wenig Wandel gebracht hat. Nur war es da schon zu spät,

Putin von seinem fatalen Kurs abzubringen.

Entscheidend ist daher nun die Frage, was die westlichen Demokratien Putins

Kriegskurs entgegenzusetzen haben. Aktive militärische Maßnahmen verbieten sich

angesichts des unkalkulierbaren Eskalationspotenzials von selbst. Also sind

Sanktionen das Mittel der Wahl - und zwar das "stärkste und schärfste Paket",

das man je geschnürt hat.

Zweifel sind angebracht, ob die EU-Staaten ihre Möglichkeiten tatsächlich

ausschöpfen. Am Donnerstagabend wollte ein EU-Gipfel die konkreten

Strafmaßnahmen beschließen. Vorgesehen war dabei, russisches Vermögen in der EU

einzufrieren, russischen Banken den Zugang zu Finanzmärkten zu verwehren und

Russland von der Technologie abzuschneiden, "die notwendig ist, um die Zukunft

zu bauen", wie es Kommissionschefin Ursula von der Leyen formuliert.

Das ist eine durchaus härtere Gangart als noch am Montag, als sich das erste

Sanktionspaket, neben dem vorläufigen Aus für Nord Stream 2, vor allem gegen

Personen richtete, die unmittelbar in den Konflikt in der Ostukraine involviert

sind. Doch das Maximum des Möglichen ist auch das noch lange nicht.

Eines der schärfsten Schwerter wäre der Ausschluss Moskaus aus dem globalen

Zahlungsabwicklungssystem Swift. Russland würde damit auf einen Schlag von

großen Teilen der Weltwirtschaft abgeschnitten. Russische Unternehmen könnten

ihre Geschäfte, Banken ihre Transaktionen mit dem Ausland nicht mehr abwickeln.

Stand Donnerstagabend sehen aber auch die verschärften Sanktionspläne der EU

diesen Schritt nicht vor. Zu groß ist die Sorge vor den milliardenschweren

Folgen für europäische Gläubiger, die dann nur noch schwer an ihr Geld von

russischen Kunden kämen.

"Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass", ist allerdings keine

erfolgversprechende Strategie. Genau das belegt die Ukraine-Invasion, die Putin

ungeachtet aller früheren Sanktionen angeordnet hat. Selbstverständlich werden

Strafmaßnahmen gegen Russland auch Deutschland, Europa und die Weltwirtschaft

empfindlich treffen. In einer wirtschaftlich eng verflochtenen Welt gibt es

keine realistischen Sanktionsszenarien, die nur einseitig Wirkung auf Russland

entfalten. Wann, wenn nicht jetzt, ist also der Moment erreicht, die Demokratie

und das Völkerrecht mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen?

Nun pauschal das Scheitern oder gar das Ende der Diplomatie zu beschwören, wird

der Sache dabei nicht gerecht. Diplomatie ist immer eine Option. Entscheidend

ist nur, an wen sie sich wendet - an China beispielsweise. Auch wenn Peking

kundtut, dass Russlands Angriff auf die Ukraine nicht in Chinas Interesse sei:

Eine klare Verurteilung der Invasion ist nicht zu hören. Stattdessen ruft China

"alle Seiten" zur Zurückhaltung auf, wirft den USA Alarmismus vor.

Diese Position ist kein Zufall, Peking hat seine Rolle genau verstanden: Jede

Verschärfung von Sanktionen durch den Westen erhöht den Anreiz für Moskau, sich

wirtschaftlich China zuzuwenden. Chinas gewaltiger Energie- und Rohstoffbedarf

macht Russland längst zu einem immer wichtigeren Handelspartner. Sollen

Sanktionen Russlands Präsidenten zu einem Kurswechsel be­wegen, ist eine

Verständigung auch mit Peking unerlässlich.

Das illustriert, wie tief Europa wirtschaftspolitisch im Dilemma steckt. Im

Konflikt mit dem Autokraten in Moskau ist ein gutes Verhältnis zu anderen

autokratischen Regimen notwendig. Europas Staaten, allen voran Deutschland,

haben sich in heikle Abhängigkeiten manövriert. Noch am Tag der Ukraine-Invasion

wurden hierzulande Stimmen laut, den Ausstieg aus der Atomenergie und der

Kohleverstromung zu verschieben. Dabei ist die nachvollziehbare Angst vor

explodierenden Energiekosten gerade ein Symptom dafür, dass Deutschland viel zu

spät damit begonnen hat, sich von fossilen Energieträgern - und damit auch von

den allzu häufig demokratiefeindlichen Lieferanten - unabhängig zu machen.

Russland von Zukunftstechnologien abzuschneiden ist das eine. Sich in Europa

konsequent Zukunftstechnologien, einer modernen Wirtschafts- und einer

werteorientierten Außenpolitik zu­zuwenden das andere.

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