DAX
04.03.2022 19:30:38
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Risiko raus, Sicherheit rein, Marktkommentar von Kai Johannsen
Frankfurt (ots) - Seit gut einer Woche wirbelt der Ukraine-Krieg die Welt und
die Finanzwelt durcheinander. Aktienindizes wie der Dax sind weit abgeschlagen
von ihren Allzeithochs, Energie- und Rohstoffpreise sind im Höhenflug und
markieren Rekorde, der Rubel hat seinen Wert praktisch halbiert, Russland hat
seine Kreditwürdigkeit bei den Ratingagenturen nahezu verspielt und steht kurz
vor der Einstufung "Bankrott", der Euro nähert sich zum Franken der Parität, die
Volatilität ist gestiegen, der Goldpreis gut unterstützt und die Renditen der
sicheren Staatsanleihen wie US-Treasuries und der Bundeswertpapiere sind entlang
den Renditestrukturkurven deutlich gefallen. Das alles in sieben Handelstagen.
Die noch Ende des Jahres und zu Beginn dieses Jahres gemachten Prognosen von
Banken und Assetmanagern sind durchweg Makulatur. Zugegeben: Den Faktor
"geopolitisches Risiko" hatten quasi alle auf dem Schirm, aber "Krieg in Europa"
hatte niemand ernsthaft auf dem Zettel - wie sollte man auch.
Damit hat sich die Gemengelage auf den Finanzmärkten vollständig verändert.
Risiko rausnehmen, lautet das Motto für die Portfolios - rein in sichere Assets.
Und so sind in der Folge die Kurse von risikobehafteten Assets wie etwa Aktien
in die Tiefe gerauscht. Profitiert haben von den Umschichtungen Gold und sichere
Staatsanleihen, und das hat bei Letzteren enorme Ausmaßen angenommen. Am
Dienstag der abgelaufenen Woche lag die zehnjährige Bundrendite im Tagesgeschäft
zeitweise noch bei mehr als 0,21 % (Schluss am Montag: 0,16 %) - im positiven
Bereich wohlgemerkt. Unter dem Eindruck neuer Kriegshiobsbotschaften ging es bis
auf das Tagestief knapp unter -0,08 %. Ein Rückgang von fast 30 Basispunkten an
einem einzigen Handelstag. Das war der größte Renditerückgang in diesem
Laufzeitensegment seit mehr als einem Jahrzehnt.
Welche Faktoren stehen dahinter, welche Signale sendet der Markt? Es ist
zuallererst die Flucht in Sicherheit, die in Unsicherheitsphasen wie Krisen
immer wieder zu beobachten ist. Geld umschichten in sichere Assets, Vermögen
(weitgehend) erhalten - so lautet die Devise, nach der agiert wird. Nicht das
erste Mal. Hinzu kommt ein markttechnischer Faktor: Die Renditen waren bis kurz
zuvor noch positiv. Das animierte ohnehin schon wieder, Bundestitel im
zehnjährigen Bereich zu kaufen. Zur Erinnerung: Am 16. Februar - rund eine Woche
vor Kriegsbeginn - konnte man kurzzeitig sogar knapp über 0,33 % laufende
Verzinsung bei den zehnjährigen Bundestiteln einstreichen - das hatte man lange
nicht gesehen. Und das Sicherheitsdenken - so bitter die Erkenntnis dieser Tage
auch ist - wird wohl noch einige Zeit anhalten, denn nach einem schnellen
Kriegsende sieht es derzeit wahrlich nicht aus. Der Markt der Bundesanleihen und
auch andere sichere Assets werden in diesem Umfeld aller Voraussicht nach gut
unterstützt bleiben.
Der Markt sendet auch Signale. Ohne Frage geht die Inflationsdiskussion
angesichts steigender Energiepreise weiter. Das sorgte vermutlich dafür, dass
die Renditen nicht noch kräftiger in den Keller gegangen sind. Die Notenbanken
müssten - die Inflation für sich betrachtet und alles andere unverändert
gelassen - die Teuerungsentwicklung mit höheren Zinsen bekämpfen. Aber in der
gegenwärtigen Lage stellen sich viele Marktakteure die Frage, inwieweit die
Währungshüter genau dieses Unterfangen noch angehen könnten. Manch einer wirft
gar die Frage auf, ob es überhaupt noch möglich ist und ob nicht eher neuerliche
Krisenmaßnahmen erforderlich werden könnten. Leitzinsanhebungen würden damit
ausbleiben, eventuell neue Bondkäufe erfolgen, um günstige
Refinanzierungsbedingungen zu erhalten und damit wirtschaftliche Stimulierung
auf den Weg zu bringen. Das würde die Renditen im Keller halten.
Noch ist auch nicht absehbar, wie stark die Wirtschaft durch den Krieg in
Mitleidenschaft gezogen wird. Was bedeutet der Exodus der Firmen aus Russland,
wie stark werden die Firmen über höhere Kosten und wegbrechende Umsätze
belastet, kommt es zu Entlassungen, womöglich Firmenpleiten und dergleichen
anderen wirtschaftlichen Negativmeldungen? Das ist alles ist abhängig von der
Dauer und der Intensität dieses Krieges mitten in Europa. Damit, und das ist
eine weitere Triebfeder für die Staatsanleihekäufe, tritt der nächste
Unsicherheitsfaktor zutage. Steuert die Wirtschaft auf eine Stagflation zu: also
Preisniveausteigerungen - zum Beispiel getrieben von Energie- und
Rohstoffpreisen - bei gleichzeitiger Stagnation der Wirtschaft, die durch den
Krieg in Mitleidenschaft gezogen wird? Mit jedem Tag des Krieges steigt diese
Wahrscheinlichkeit.
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