04.06.2021 20:30:38

OTS: Börsen-Zeitung / Keine Angst vor Baerbock, Marktkommentar von Werner Rüppel

Keine Angst vor Baerbock, Marktkommentar von Werner Rüppel

Frankfurt (ots) - Nach 16 Jahren als Kanzlerin tritt Angela Merkel bei der

Bundestagswahl im September nicht mehr an. Es wird also nach der Wahl eine neue

Kanzlerin oder einen neuen Kanzler geben.

Trotz der wichtigen politischen Entscheidung im Herbst ist der Deutsche

Aktienindex in Partylaune und erklimmt ein Hoch nach dem anderen. Etliche

Analysten erwarten, dass der Dax weiter zulegt. So hat Christian Kahler von der

DZ Bank gerade seine Dax-Prognose per Mitte 2022 auf 16.500 Punkte ange­hoben;

dass die Aktienmärkte auch 2022 steigen können, hat nach Ansicht des Strategen

vor allem einen Grund: "steigende Unternehmensgewinne". Und die UBS empfiehlt

Aktieninvestoren als Ergebnis einer umfassenden 42-seitigen Studie zur deutschen

Bundestagswahl: "Stay overweight Germany". Denn Deutschland habe das größte

Exposure zu derzeit von den UBS-Analysten favorisierten Themen: zyklische

Ausrichtung, Value und Autos.

Wie kann das sein? Spielen Bundestagswahlen inzwischen für Investoren überhaupt

keine Rolle mehr? Nein, das Gegenteil ist der Fall. In Deutschland haben die

politischen Grundentscheidungen das Abschneiden des Aktienmarktes stets

maßgeblich beeinflusst. Politik hat sozusagen für den Dax sehr lange Beine, und

keine kurzen. So hat die marktwirtschaftliche Ausrichtung unter Kanzler Konrad

Adenauer und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard dafür gesorgt, dass die deutsche

Wirtschaft prosperierte und heimische Aktien überdurchschnittlich zulegten.

Verluste gab es hingegen durch die Wirtschaftspolitik unter Kanzler Willy

Brandt. Unter Helmut Kohl legte der Dax dank seines marktwirtschaftlichen Kurses

knapp 15 Prozent pro Jahr zu. Und unter Gerhard Schröder begannen die Kurse nach

oben zu tendieren, nachdem dieser in seiner Agenda 2010 die Marktwirtschaft in

den Vordergrund stellte; umgesetzt übrigens mit Regierungsbeteiligung der

Grünen. Die Ernte aus Reformen wie Hartz IV konnte dann Merkel in Form eines

Rückgangs der Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Prosperität und steigender

Aktienkurse einfahren.

Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage würde nun die CDU/CSU unter Kanzlerkandidat

Armin Laschet 25 Prozent der Stimmen erhalten, wenn heute schon Bundestagswahl

wäre. Knapp dahinter mit 24 Prozent folgen die Grünen mit Kanzlerkandidatin

Annalena Baerbock. FDP und SPD kommen in der Umfrage jeweils auf 14 Prozent der

Stimmen, auf die AfD entfallen 9 Prozent und auf Die Linke 6 Prozent.

"Eine Grün-rot-rote-Regierung ist derzeit die einzige Regierungskonstellation,

die als belastend gesehen wird", sagt DZ-Bank-Stratege Kahler. Doch zeigt allein

die aktuelle Umfrage, dass eine neue Bundesregierung unter Beteiligung der als

wirtschaftsfeindlich empfundenen Linken sehr unwahrscheinlich ist. Erst einmal

muss diese Partei im September die 5-Prozent-Hürde nehmen, und auch dann würde

es mit den Grünen und der immer mehr schwächelnden SPD aller Wahrscheinlichkeit

nach wohl nicht für eine Mehrheit reichen.

Hinzu kommt, dass die FDP derzeit massiv im Aufwind ist, so dass eine

Regierungsbildung ohne FDP oder CDU/CSU derzeit kaum möglich erscheint. Darüber

hinaus sind die Grünen unter Annalena Baerbock und Robert Habeck zu einer Partei

der bürgerlichen Mitte avanciert. Sie verfolgen einen gänzlich anderen Kurs als

die grünen Fundis früherer Tage und wollen weder die Marktwirtschaft noch die

Nato abschaffen. Vor diesem Hintergrund hat Baerbock auch keinerlei Interesse,

eine Regierungskoalition mit den Linken einzugehen. Dass sich der frühere

Siemens-Chef Joe Kaeser gerade für Annalena Baerbock aussprach, zeigt den Wandel

auf. Baerbock erinnert Kaeser zudem "sehr an unsere heutige Bundeskanzlerin".

Doch auch wenn Deutschland nach der Wahl, sei es dann unter Kanzler Laschet oder

unter Kanzlerin Baerbock, weiter marktwirtschaftlich ausgerichtet bleibt, wird

sich einiges ändern. Denn mit der zu erwartenden Regierungsbeteiligung der

Grünen rückt die Klimapolitik noch mehr in den Vordergrund. Nach Meinung der UBS

dürfte es auch zu Veränderungen am Wohnungsmarkt sowie zu verstärkten

Investitionen in Infrastruktur kommen. Positiv wäre dies laut den Analysten des

Instituts für Werte wie Infineon, Siemens, Siemens Gamesa, VW und Wacker Chemie.

Hingegen könnten Covestro, Lufthansa und Rheinmetall durch die Wahl negativ

beeinflusst werden.

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