04.10.2022 20:30:38
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Hohe Erwartungen, Kommentar zu ProSiebenSat.1 von Joachim Herr
München (ots) - Es ist ein hartes Jahr für die privaten Fernsehsender. Die
Werbeerlöse, die hohe Margen einspielen, gehen wegen des verschlechterten
Konsumklimas und der trüben Aussichten für die Konjunktur zurück. Sowohl RTL als
auch ProSiebenSat.1 senkten im Sommer die Geschäftsprognosen für 2022. Dass
ProSiebenSat.1 nun den Vorstandsvorsitzenden austauscht, hat mit dieser
herausfordernden, aber regelmäßig wiederkehrenden Situation wohl nichts zu tun.
Vielmehr geht es um den Wandel zu einem Unternehmen, das sein Digitalangebot
ausbauen will. Längst haben sich die Vorlieben der Zuschauer geändert - vor
allem der jüngeren. Videoportale wie Youtube und Tiktok sowie Streamingdienste
wie Netflix und Amazon Prime stehen auf der Favoritenliste weit oben.
Andreas Wiele, seit Mai Aufsichtratschef von ProSiebenSat.1, traut offenbar eher
einem Medienfachmann als einem Finanzexperten zu, diesen Umbruch zu bewältigen.
Der künftige Konzernchef Bert Habets sammelte als RTL-Manager Erfahrung mit dem
Entwickeln und dem Angebot von Streamingdiensten in den Niederlanden und in der
Gruppe.
Rainer Beaujean, der jetzt gehen muss, versuchte sein mangelndes Vorwissen über
die Branche mit viel Selbstbewusstsein wettzumachen. Als Vorstandsvorsitzender
von T-Online wirkte er am Aufbau von Magenta-TV mit und attestierte sich deshalb
Kompetenz als Medienmanager. Aus der Sicht des ehemaligen
Axel-Springer-Vorstands Wiele scheint das nicht auszureichen. Er setzt nun auf
Habets und erhofft sich von ihm Impulse für ein kräftiges Wachstum des
Unternehmens.
Filme und Serien per Streaming bieten auch die Sendergruppen von ProSiebenSat.1
schon seit einigen Jahren an. Die Plattform Joyn startete ProSiebenSat.1 mit dem
US-amerikanischen Partner Discovery vor gut drei Jahren. Auch andere wie ARD und
ZDF sind mit ihrem Programm auf Joyn dabei, nicht aber RTL. Die Luxemburger
Gruppe investiert in das eigene Angebot RTL+. Nach dem Ausstieg von Discovery
kann ProSiebenSat.1 die Verluste, die Joyn noch bringt, nicht mehr teilen. Wiele
vertraut Habets, den Sprung in die Gewinnzone bald zu schaffen.
Offenbar tat sich der Aufsichtsratschef mit dem Finanzspezialisten Beaujean
schwer. Den hatte der frühere Aufsichtsratsvorsitzende Werner Brandt, ehemaliger
Finanzvorstand von SAP, 2019 zu ProSiebenSat.1 geholt. Beide waren auf einer
Wellenlänge, und so stieg Beaujean im Frühjahr 2020 zum CEO auf, als der wegen
seiner ruppigen Art im Unternehmen und Vorstand unbeliebte Max Conze nicht mehr
zu halten war. Schon im Fall des anfangs mit der Sanierung des Unternehmens
erfolgreichen, später aber nur noch überheblichen Thomas Ebeling zögerte Brandt,
bis Ebeling nach einer geschäftsschädigenden Äußerung im Frühjahr 2018 endlich
gehen musste.
Der Belgier Guillaume de Posch war von 2004 bis Ende 2008 der bisher letzte
Medienmanager auf dem Chefsessel von ProSiebenSat.1. Ebeling kam aus der
Konsumgüter- und Pharmabranche, Conze vom Staubsaugerhersteller Dyson, Beaujean
vom Verpackungshersteller Gerresheimer. Nach diese Seiteneinsteigern sind die
Erwartungen an den Fernseh- und Digitalexperten Habets besonders hoch.
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