17.07.2020 18:46:38
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Crash-Gefahr beim Dollar / Kommentar zum Dollarkurs von Dieter
Kuckelkorn
Frankfurt (ots) - Die europäische Gemeinschaftswährung zeigt sich gegenüber dem
Dollar derzeit fest, was viele Analysten hinsichtlich ihrer Prognosen auf dem
falschen Fuß erwischt hat. Es spricht momentan einiges dafür, dass der Euro noch
mehr Boden gutmachen wird. Denn eine Reihe von Faktoren lässt eine weitere
Dollarschwäche erwarten. So hat sich an dem für den Devisenmarkt wichtigen
kurzen Ende der Kurve die Zinsdifferenz zwischen Europa und den USA deutlich
verringert. Betrug sie zu Jahresbeginn 1,5 bis 1,75%, sind es jetzt nur noch
0,25%. Damit nimmt die Attraktivität des Dollar zum Parken von Liquidität
deutlich ab. Hinzu kommt, dass, wie die Analysten der Helaba vermuten, die
Akteure am Devisenmarkt derzeit nicht mehr davon ausgehen, dass die Europäische
Zentralbank ihre Geldpolitik weiter lockern wird.
Und letztlich wird offenbar auch die Rolle des Greenback als sicherer Hafen in
Krisenzeiten inzwischen in Frage gestellt. Die USA bieten derzeit ein eher
desolates Bild, da die Trump-Administration die Coronavirus-Pandemie einfach
nicht in den Griff bekommt. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt an, und der
Hauptgrund, weshalb es nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt,
liegt darin, dass viele der jetzt arbeitslos gewordenen US-Bürger auch ihren
Krankenversicherungsschutz verloren haben. Die Unruhen auf den Straßen hören
nicht auf, sie gehen einher mit einer beispiellosen Kriminalitätswelle. Außerdem
erscheinen die Eliten hoffnungslos zerstritten, sowohl Republikaner als auch
Demokraten treiben die Polarisierung immer weiter voran.
Derweil haben die Rettungspakete der Federal Reserve und der US-Regierung eher
die Finanzmärkte, das Bankensystem und die ganz großen börsennotierten
Unternehmen gestützt als die breite Realwirtschaft, dafür aber die
Staatsverschuldung deutlich nach oben getrieben, was zukünftige Spielräume
weiter einengt.
Dies lenkt den Blick auf die längerfristigen Perspektiven des Greenback. Der
prominente US-Ökonom Steven Roach, ehemaliger Chief Economist von Morgan Stanley
und jetzt an der Yale University tätig, ist in dieser Hinsicht sehr
pessimistisch. Er sagt einen Crash des Dollar um rund 35% auf das Tief von Juli
2011 voraus und erwartet, dass die Sonderrolle, die der Dollar in der
Weltwirtschaft genießt, bald der Vergangenheit angehören wird.
Die Basis für die kommenden Kalamitäten des Dollar liegt für Roach darin, dass
bereits vor dem Ausbruch der Pandemie die Ersparnis in den USA stark gesunken
ist. Sie betrug im ersten Quartal 2020 mit 1,4% des Bruttoinlandsproduktes (BIP)
nur noch ein Fünftel des Durchschnitts der Jahre 1960 bis 2005. Für die
kommenden Quartale rechnet Roach damit, dass es krisenbedingt zu einer negativen
Ersparnis der US-Haushalte in der bisher noch nie gesehenen Größenordnung von 5
bis 10% des BIP kommt. Um dies auszugleichen, sind die USA mehr denn je auf
Kapitalimporte angewiesen. Bereits seit fast 30 Jahren besteht ein
amerikanisches Leistungsbilanzdefizit, das nun auf einen Rekordwert steigen
dürfte. Neben dieses tritt ein gewaltiges Haushaltsdefizit von laut Schätzung
des Kongresses 17,9% des BIP im laufenden Jahr. So hoch war es in Friedenszeiten
noch nie.
Vor diesem Hintergrund ist es äußerst gefährlich, wenn der US-Präsident und
seine unbedarften Berater mit Eifer an einer umfassenden internationalen
Destabilisierung arbeiten, in der irregeleiteten Erwartung, dass sich damit die
globale Vormachtstellung der USA dauerhaft sichern lässt. Dieser außenpolitische
Harakiri-Kurs unterminiert letztlich das internationale Vertrauen in den Dollar.
Es ist auffällig, dass sich eine Reihe von Ländern, und zwar nicht nur China und
Russland, auf eine Zeit nach der Dollardominanz in der Weltwirtschaft
vorbereiten und dazu ihre Goldvorräte stark hochfahren, während US-Treasuries
von diesen Notenbanken verkauft werden.
Sollte es zu dem von Roach erwarteten Crash des Dollar kommen, drohen den USA
seiner Meinung nach eine Phase der Stagflation und ein tiefgreifender
Wohlstands- und Kaufkraftverlust weiter Teile der Bevölkerung. Die
Handelsbilanz- und Leistungsbilanzdefizite würden steigen - mit dem Unterschied
zu heute, dass China nach einer von der US-Administration erwirkten Abkopplung
nicht mehr zur Verfügung stehen wird, um Defizite zu finanzieren.
Ob die gegenwärtige Dollarschwäche bereits der Einstieg in dieses Szenario ist,
lässt sich noch nicht sagen. Dass der Dollar seine besten Zeiten als
international dominierende Währung gesehen hat, ist aber klar.
(Börsen-Zeitung, 18.07.2020)
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