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27.09.2021 19:45:38

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Architekt einer Mehrheit / Kommentar zu den Koalitionsoptionen nach

der Bundestagswahl von Angela Wefers

Berlin (ots) - Kanzler wird in Deutschland, wer eine Mehrheit im Bundestag

hinter sich bringt - nicht zwangsläufig der Kandidat aus der stärksten Fraktion.

Wem dies gelingt, ist am Tag nach der Bundestagswahl offen. Es wird noch eine

Weile spannend bleiben. Der Wahlsieger Olaf Scholz (SPD) erhebt Anspruch auf

Führung der nächsten Regierung. Der von den Wählern deutlich gerupfte, nun knapp

dahinter platzierte Armin Laschet (CDU) steht für ein neues Regierungsbündnis

bereit. Nahezu sicher ist, dass Grüne und FDP der neuen Regierung angehören

werden. Sowohl eine Ampel-Koalition unter SPD-Führung als auch eine von der

Union angeführte Jamaika-Koalition sind rechnerisch möglich. Beide halten sich

beide Optionen offen. Die Grünen neigen einem Bündnis mit der SPD zu, die FDP

einem mit der Union, weil sie dort jeweils größere inhaltliche Überschneidungen

der Wahlprogramme finden. Eine Dreierkoalition in der künftigen Bundesregierung

ist weitgehend gesetzt. Der Regierungswille ist bei Grünen und FDP ausgeprägt.

Die FDP wird nach der gescheiterten Sondierung über eine Jamaika-Koalition im

Bund nach der Wahl 2017 nicht noch einmal begründen können, warum sie eine

politische Gestaltungsmöglichkeit ausschlägt. Eine große Koalition will weder

die SPD noch die Union weiterführen. Schon die vergangenen vier Jahre waren nur

eine Notgemeinschaft.

Ein Novum in Deutschland ist, dass die kleineren Koalitionspartner den Takt in

der Regierungsbildung angeben und nicht die Partei des künftigen Kanzlers. Grüne

und FDP sind als Erstes zu einer "Vor-Sondierung" verabredet, um Gemeinsamkeiten

auszuloten. Beide zusammen sind rechnerisch ungefähr so stark wie der

potenzielle große Koalitionspartner - im Schulterschluss womöglich sogar noch

stärker. Das erfordert viel Geschick des nächsten Regierungschefs. Auf dem Weg

dahin wird der fähigere Architekt eines neuen Dreierbündnisses reüssieren. Dies

ist sowohl Scholz als auch Laschet zuzutrauen. Beide sind erfahrene Politiker

und haben Landesregierungen geführt.

Die Angst der Wirtschaft

Diese Erfahrung verspricht auch eine gewisse Stabilität für eine neue Regierung,

die besonders für die deutsche Wirtschaft und Industrie von großer Bedeutung

ist. Offen hatten Wirtschaftsvertreter und Verbände vor der Bundestagswahl vor

dem Schreckgespenst eines rot-grün-roten Bündnisses gewarnt. Die Wähler haben

jedoch einen klaren Blick auf die Linke und die Partei abgestraft. Das von der

Linken gezeichnete Bild einer schlimmen sozialen Schieflage wird von der

deutschen Wählerschaft ebenso wenig geteilt, wie sie die Forderungen für

schlicht nicht umsetzbar und finanzierbar hält. Dies Schreckgespenst ist

gebannt. Aber ein künftiges Dreierbündnis wird labiler sein als eine

Zweierkonstellation. Die Regierungsbeteiligten müssen sich regelmäßig hervortun,

um öffentlich wahrgenommen zu werden, wenn sie in der Koalition nicht

ausreichend punkten können. Die Stabilität eines künftigen Bündnisses wird also

stark davon abhängen, ob jeder der Partner in Punkten glänzen kann, die für ihn

besonders wichtig sind. Nur dann wird sich auch der Parteibasis ein Bündnis mit

dem bis dahin bekämpften politischen Gegner vermitteln lassen. Je stärker die

Parteiführung von der Basis getragen ist, desto geräuschloser wird es zugehen,

desto effektiver kann regiert werden. Gute Erfahrungen mit einer

Dreier-Regierung gibt es in den Ländern: in Rheinland-Pfalz mit der Ampel und in

Schleswig-Holstein mit Jamaika.

Schneller verhandeln

Schneller sollen die Verhandlungen diesmal gehen und nicht wieder bis in das

neue Jahr reichen. Ende Februar steht schon die Wahl des Bundespräsidenten an.

Dies könnte ein Kalkül im Verhandlungspaket sein. Inhaltlich dürfte die Union

mit Laschet den Grünen eher entgegenkommen können als die SPD mit Scholz der

FDP. Klimaschutz ist das zentrale Thema der Grünen, aber es geht alle an. Je

schneller sich die Union dort bewegen würde, desto mehr käme es ihr selbst

zugute. SPD und Grüne dringen auf Steuererhöhungen, die in starkem Maß auch die

Wirtschaft belasten werden. Für die Liberalen sind höhere Steuern indessen ein

Tabu. Eine Lockerung der Schuldenbremse, wie es die Grünen wollen und in Teilen

die SPD, ist mit der FDP nicht zu machen. Wenn die Liberalen sich in den

Verhandlungen über eine Ampel dort durchsetzen, könnten sie sich zum Nutzen der

Wirtschaft als Stabilitätsbewahrer feiern lassen.

Jenseits der Inhalte ist für die Wahrscheinlichkeit, ob eine Ampel oder Jamaika

gelingt, die Rückendeckung aus Partei und Führungsgremien entscheidend. Die SPD

hat schon ein Sondierungsteam gebildet. Belastungsfaktor ist dabei der

Parteivorstand. Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans beleidigte erst einmal

den möglichen Koalitionspartner FDP, indem er ihm Voodoo-Ökonomie vorwarf. Das

mag im Wahlkampf gehen, aber nicht im Anlauf auf eine Koalition. Dass Scholz

gleichwohl auf Sieg setzt, zeigt sich in der Kontinuität von Rolf Mützenich als

Fraktionsvorsitzendem. Dieses für eine Oppositionsfraktion zentrale Amt will

sich Laschet warm halten. Ob Ralph Brinkhaus (CDU) es behalten kann, ist nicht

sicher.

Die CDU hat eine Zukunftskoalition angemahnt. Tatsächlich ringt sie um ihre

eigene Zukunft. Die Sticheleien aus Bayern sind leiser geworden, nachdem sich

auch die CSU ein Direktmandat von den Grünen in München hat abnehmen lassen.

Revolte liegt aber in der Luft. Käme der CDU erneut ein Parteichef abhanden,

stünde sie innerhalb kürzester Zeit vor einem dritten Machtkampf um die

Führungsspitze, nachdem Angela Merkel 2018 den Platz frei gemacht hat. Ob sie

das stärkt, darf immerhin bezweifelt werden.

Pressekontakt:

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