24.06.2016 19:07:37

NRZ: Der Brexit ist ein Weckruf - ein Kommentar von MANFRED LACHNIET

Essen (ots) - Wer am Donnerstagabend auf die Buchmacher vertraute, lag am Ende völlig falsch. Während die Zocker in London siegesgewiss auf den Verbleib Großbritanniens in der EU setzten, ging die Wirklichkeit gnadenlos über sie hinweg. Die Lehre daraus: Wer die EU als Spekulationsobjekt betrachtet, verliert. Vor allem das Vertrauen der Menschen. Was passiert nun? Nach dem knappen Ja zum Brexit dürfte der Urlaub auf der britischen Insel sicher günstiger werden. Im Gegenzug kaufen die Briten bald weniger deutsche Autos, weil das Pfund an Kaufkraft verliert. Aufträge und Jobs auf der Insel sind gefährdet. Die Schotten drängen auf ihre Selbstständigkeit, die Nordiren zieht es nach Irland. Diese nüchternen Einsichten waren den Briten vor ihrer Stimmabgabe bekannt. Aber es war ihnen egal. Viel stärker als die Einsicht überwog das Gefühl, von Brüssel aus fremdbestimmt zu sein. Die anti-europäische Grundstimmung hatten Populisten und viele Massenmedien auf der Insel gründlich vorbereitet. Und es zeigt, wie gefährlich Volksentscheide sein können. Auffallend ist, dass viele ältere Menschen für den Austritt stimmten, während die Jungen eher "Yes" zu Europa sagten. Ihr Traum von einem Kontinent des unbeschwerten Reisens und des Austausches in Job und Ausbildung ist zerplatzt. Aus per Abstimmung. Die Stimmungsmacher in ganz Europa reiben sich bereits die Hände. Und es muss alarmieren, wenn in einer angeblich aufgeklärten Gesellschaft das Schüren und Zündeln so gut funktionieren kann. Das erleben wir gerade auch in unserem Land. Doch trotz aller Bestürzung über das Votum besteht kein Anlass zur Resignation oder gar zum Beleidigtsein: Etwa, wenn man den Briten nun die kalte Schulter zeigte, nach dem Motto: Jetzt werden wir euch zeigen, was ihr davon habt! - Das würde die Brexit-Befürworter in ihrer Sturheit nur bestärken. Wichtig ist, dass die Idee von Europa nicht von der Marktwirtschaft bestimmt wird, sondern aus dem Herzen kommt. Dazu bedarf es Politiker, die die Vorzüge des gemeinsamen Handelns wahrhaftig und überzeugend erklären anstatt den drohenden Zeigefinger etwa nach Griechenland richten. Es rächt sich, wenn Banken gerettet - aber die Menschen in ihrer Not allein gelassen werden. Wer so handelt, gefährdet den Gemeinsinn. Der europäische Gedanke ist eben viel mehr als nur freie Kapitalströme. Er bedeutet Freiheit, Austausch, Vielfalt und vor allem: Frieden. Wie konnte halb England das vergessen? Der Brexit ist daher ein Weckruf. Wer das nicht begreift, verspielt die Zukunft der Menschen, die auf diesem Kontinent leben.

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Pressekontakt: Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung Redaktion

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