03.07.2015 19:52:39
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neues deutschland: zum Referendum in Griechenland und die Gläubigerpolitik
Berlin (ots) - Wie auch immer das griechische Referendum über die
Gläubiger-Politik am Sonntag ausgehen wird - allein seine Ausrufung
hat sich als ein Akt praktizierter Aufklärung erwiesen: Sie hat den
Schleier weggerissen, mit dem Verhältnisse und Umstände sich als die
angeblich besseren noch tarnen konnten, sie hat etwas in Gang gesetzt
in den Köpfen und die eingeübte Routine der neoliberalen
Krisenbearbeitung politisiert. Das Referendum wird als etwas in
Erinnerung bleiben, das kann man vor seinem Ausgang sagen, das die
Dinge verändert hat. Ob das für Griechenland und in welcher Weise
zutrifft, kann und soll hier nicht beleuchtet werden. Die deutsche
Attitüde, in einem oft kolonialistischen Tonfall anderen
vorzuschreiben, was gut oder schlecht für sie wäre, ist Teil des
Problems. Eines großen Problems, über das wir in den vergangenen
Tagen viel gelernt haben - Dank der Ansetzung des Referendums. Zum
Beispiel dies: Ein SPD-Politiker, der schon als Kanzlerkandidat für
2017 im Gespräch war, ein gewählter Repräsentant des Europäischen
Parlaments, in dem auch SYRIZA-Abgeordnete sitzen, posaunt
unverhohlen seinen Wunsch heraus, die Athener Regierung möge über das
Referendum stürzen. Der Mann hat sogar schon Ideen für eine
technische Übergangsregierung im Kopf für den Fall notwendiger
Neuwahlen: »Dann hat Griechenland wieder ein Chance.« Dann? Eine
Wirtschaftszeitung bildet den Premier Griechenlands mit einer Pistole
am Kopf und der Schlagzeile ab: »Geld her oder ich schieße«. Die
demokratische Entscheidung von Alexis Tsipras, sich per Referendum
ein neues Mandat für die Verhandlungen mit den Gläubigern zu holen
oder eben die Absage an seine bisher verfolgte Politik, wird zur Pose
eines selbstmörderischen Erpressers verzerrt. Wer schießt hier? Ein
aus Talkshows bekannter Kolumnist fordert »SYRIZA muss fallen«,
deutet ein mögliches Nein zu den Bedingungen der Gläubiger in ein
Votum gegen Europa um und hofft auf den Sturz der Regierung in Athen,
die er »pervers« nennt. Wer fällt hier, nämlich hinter alle sonst
immer hochgehaltenen Maßstäbe zurück? Das Gros der Politiker und die
veröffentlichte Meinung hierzulande machen die passenden Geräusche zu
einem ökonomischen Staatsstreich. Ist das zu überzogen formuliert?
Wer die Debatte zum Konflikt über die Krisenpolitik zwischen den
Gläubigern und der Regierung in Athen nicht nur in der deutschen
Mehrheitsblase verfolgte, wird das anders sehen. Warum? Jenseits
davon konnte man lesen, dass führende deutsche Politiker ankündigten,
solange jede Stützungsmaßnahme, geschweige denn eine darüber
hinausgehende, das Schuldenproblem nachhaltig lösende Einigung für
Griechenland zu blockieren, wie die Regierung von Tsipras dort im Amt
ist. Dort wurde der wirtschaftspolitische Irrsinn, den die
kompromisslose Berliner Betonfraktion verfolgt, breit kommentiert.
Dort war es nicht nur einen Nebensatz wert, dass die von der
Bundesregierung maßgeblich durchgesetzte Austeritätspolitik in Europa
zu einem sozialen und ökonomischen Desaster führt. Dort wurde gesagt,
dass nicht eine längst als falsch erkannte Politik gestoppt werden
soll - sondern eine Alternative dazu, die beweisen würde, wie es
anders ginge. Und das auch noch mit der Unterstützung der Mehrheit
der Bevölkerung! Wo kämen wir denn da hin? Das Ergebnis der
Januarwahl in Griechenland, aus der eine Linkspartei als Sieger
hervorging, wurde als nicht marktkonform angesehen - und seither
versuchen jene, die als marktkonforme Demokraten gelten, dieses
Wahlergebnis zu korrigieren. Sie machen dabei einen deutschen Lärm,
der sich noch auf die offenkundigste Lüge stützt. Und wir lernen, was
»ein guter Europäer« ist: Es ist »nicht der, der eine Einigung um
jeden Preis sucht«, wie es Merkel im Bundestag formuliert. Sondern
der, der jeden Preis in Kauf nimmt, wenn nur die Einigung zu seinen
Bedingungen ausfällt. Im Übrigen: Es wird von SYRIZA nichts
Revolutionäreres angestrebt, als führende Ökonomen für sinnvoll
halten - und was man eine sozialdemokratische Politik nennen könnte.
Dass es die SPD ist, die in Deutschland noch rechts an Kanzlerin
Angela Merkel vorbei an die Spitze der Verteidiger von Interessen
marschiert, die nicht diejenigen ihrer Wähler und Mitglieder sind,
wird die politische Linke hierzulande noch eine Weile beschäftigen.
Es gibt gute, nein: sehr gute Gründe dafür, dass die Griechen am
Sonntag mit Oxi (Nein) stimmen. Die Krisenpolitik, die in Berlin
maßgeblich geplant wird, hat dem Land seit Frühjahr 2010 sieben
Kürzungspakete aufgezwungen. Die Nachfrage brach ein, Hunderttausende
verarmten, die Arbeitslosigkeit ist heute doppelt so hoch wie vor den
»Hilfen«. Die Staatsschulden sind praktisch kaum gesunken, nur die
Gläubiger sind heute andere. Selbst der IWF sagt, eigentlich braucht
es einen Schuldenschnitt. Die bisher verfolgte Krisenpolitik ist
gescheitert. Ich würde mit Nein stimmen. Aber: Es ist Eure Wahl.
OTS: neues deutschland newsroom: http://www.presseportal.de/nr/59019 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_59019.rss2
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