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28.10.2015 22:32:39

Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Seehofers Angriffe auf die Kanzlerin Union in Aufruhr Dieter Wonka, Berlin

Bielefeld (ots) - Kaum hat die Union ihre Wohlfühlstube verlassen, schon steht sie gefühlt nicht wirklich besser da als die andere große Volkspartei, die SPD. Die CSU läuft aus dem Ruder. Horst Seehofer wirkt plötzlich rauflustig wie ein halbstarker Franz Josef Strauß zu dessen stärksten Zeiten. In der Union verstehen viele an der Basis, Hunderte von Bürgermeistern, Landräten und Ehrenamtlern die Welt ihrer "Mutti" nicht mehr. Merkels "Wir schaffen das" ist eine menschlich anrührende Botschaft, aber es ist eine ohne Orientierung, ohne Kraft, ohne Plan. Nüchtern betrachtet präsentiert sich die Bundesrepublik nach zehn Jahren Merkel-Management als ein ziemlich zerrissenes Gebilde. Die Zivilgesellschaft zeigt ein beachtliches politisches Engagement. Aber der Staat lässt sie im Stich. Er wirkt wie ein chaotisches Gebilde, in dem Gesetze missachtet werden (Registrierungspflichten für Asylbewerber), in dem Grenzen keinen Schutz mehr bieten, in dem Schlüsselbegriffe wie europäische Solidarität zur Beute von kalten Nationalisten werden. Die Kanzler-Vorsitzende der CDU genießt heute große Sympathie bei Linken, Grünen und Sozialdemokraten. In der Union ist sie für nicht wenige zum Bedrohungsfaktor einer vergangenen heilen Welt geworden. Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, gesetzlicher Mindestlohn für alle, Mietpreisbremse und Deutschland als Einwanderungsland - das ist Merkels eindrucksvolle Zwischenbilanz. Sie liest sich wie ein Meisterstück rot-rot-grüner Regierungspraxis. Vielleicht nur mit einem Abstrich: Kein SPD-Bundeskanzler mit einer Mehrheit links von der Mitte hätte sich derart viel Aufruhr im hausbackenen Deutschland in nur einem Amtsjahrzehnt zugetraut. Angela Merkel hat sich erstaunlich weit weg von ihrer Partei gewagt. Die denkt jetzt zum vielleicht ersten Mal über eine Zeit nach der Ära mit der großen Mutter der Truppe nach. Dieses Gefühl der Orientierungssuche wird bleiben, egal wie die Rempeleien der CSU weiter verlaufen oder wie die zukünftige Flüchtlingspolitik auch aussehen wird. Es beginnt die letzte Etappe der Kanzlerin als Domina der deutschen Politik. Manche wird das freuen, wie den klammen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Der meint ausgerechnet jetzt tatsächlich - welch lustiger Beitrag zur Tagespolitik -, er könne 2017 Kanzler werden. Dabei sollte doch für die etablierten Parteien nicht so sehr Seehofers Egoshooting, Merkels Abmarsch oder Gabriels Sandkastenspiel im Mittelpunkt stehen, sondern schlicht und einfach die Frage: Was ist Deutschland zumutbar, und wie reagiert die Parteiengemeinschaft auf die Etablierung einer tumben politischen Kraft rechts außen, die sich derzeit AfD nennt?

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