21.08.2017 23:07:56

Neue Westfälische (Bielefeld): Deutsch-türkisches Verhältnis Zeit für Klartext Dieter Wonka, Berlin

Bielefeld (ots) - Es wird Zeit für Klartext. Wer ist Recep Tayyip Erdogan? Jedenfalls kein Partner, mit dem man ungestraft einen fragwürdigen Flüchtlingsdeal abschließt. Keiner, mit dem man als Partner in einer Verteidigungsgemeinschaft ernsthaft für den Erhalt von Freiheit, Toleranz und Demokratie kämpfen sollte. Niemand, dem man bloß mit Missbilligung drohen darf, weil er wie im Fall des Schriftstellers Akhanli ein mechanisches Fahndungsinstrument wie Interpol zur politischen Geiselnahme missbraucht. Auch die Bundesregierung muss sich entscheiden, ob sie den Mut zur Klarheit und Wahrheit im Umgang mit einem Politiker aufbringt, der sich die Türkei zur vorübergehenden Beute gemacht hat. Keine Waffenlieferungen mehr. Ein rigides Visa-Regime auch gegenüber Erdogans Regierungsvasallen. Und Ermutigung für den Teil des gespaltenen Landes, das schon beim Referendum gezeigt hat, die Zukunft der Türkei nicht in einem Sultanat liegt. Fünf Wochen vor der Bundestagswahl besinnen sich Berlins Politiker plötzlich auf die Kunst klarerer Aussagesätze. Wieso eigentlich jetzt erst? Außenminister Gabriel empört sich laut gegen Erdogans Aufruf zum Wahlboykott. Das war notwendig. Aber überrascht haben können diese Worte aus der Türkei nicht wirklich. Die Kanzlerin spricht ihre Form von Klartext und will dem Präsidenten den Interpol-Missbrauch nicht durchgehen lassen. Wie denn bitte? Die Entkleidung der diplomatischen Formelsprache kommt recht spät. Es wäre glaubwürdiger, griffe die Diplomatie nun zur praktischen Tat. Es darf keine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der Türkei in der Grauzone des Rechtsstaats geben. Die offizielle Reisewarnung für die Türkei ist überfällig. Und es wäre patriotisch, würde die deutsche Wirtschaft durch praktische Selbstbeschränkung bei den Investitionen zeigen, dass mit einem Land, das auf dem direkten Weg in eine Diktatur ist, zukünftig keine guten Geschäfte zu machen sind. Dieses Signal ist auch wichtig für die vielen Millionen Bürger in der Bundesrepublik, die Erdogan aufzuwiegeln versucht. Sie haben ein Recht auf Orientierung in einer demokratischen und toleranten Gesellschaft. In grundlegenden Fragen der Toleranz und des Respekts kann es keine Kompromisse geben. Das gilt für Erdogan in Ankara ebenso wie für Fremdenfeinde hierzulande. Der türkische Staatspräsident ist zu einem Brandstifter am Rande von Europa geworden. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob er durch eine viel zu lang taktisch motivierte Hinhaltepolitik der Europäischen Union dazu geworden ist oder ob Erdogan keine Skrupel kennt bei der Durchsetzung seiner eigenen Machtinteressen. Er hat sich jedenfalls als jemand gezeigt, dem Demokratie, Recht und Menschenrechte relativ egal sind.

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