07.09.2018 22:17:42
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Mittelbayerische Zeitung: Seehofer verstärkt die Probleme / Die Migration ist nicht die Wurzel der Unzufriedenheiten, sie deckt die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Schieflagen aber auf. Von
Regensburg (ots) - Das Talent zum pointierten Formulieren ist
grundsätzlich ein Segen. Doch wird die Botschaft zu schlicht,
entfaltet sie böse Wirkung. Politprofi Horst Seehofer weiß das. Doch
"ups" - nun hat er es erneut praktiziert und man darf annehmen: Er
hat die Provokation gezielt gesetzt. Und das ausgerechnet auf dem
politisch hochsensiblen Feld der Flüchtlingspolitik, auf dem der
Bundesinnenminister und CSU-Chef mit der Kanzlerin in Dauerfehde
liegt. Seehofers Äußerung zur Migration als "Mutter aller politischen
Probleme" löst nichts. Sie verstärkt die Probleme nur und dient dem
politisch irrlichternder Teil der Gesellschaft als Bestätigung.
Seehofer hat auch in der Sache Unrecht. Die Migration mag ihm als
Fachminister für innere Sicherheit so erscheinen - und auch aus dem
Blickwinkel des CSU-Chefs, der den Zuzug der Flüchtlinge seit Herbst
2015 als Hauptgrund für das massive Schwächeln der CSU im Vorfeld der
bayerische Landtagswahl sieht. Ohne Migration herrschte womöglich
auch bis heute zwischen ihm und Merkel eitel Sonnenschein. Doch auch
das alles zusammen ist eine sehr verkürzte Sicht der Dinge. Die
Migration ist eben nicht die Wurzel aller Probleme - sie deckt die
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Schieflagen im Land nur
unbarmherzig auf. Migration lässt sich auch nicht auf Asylfragen
verkürzen. Die Zuwanderung von Fachleuten aus allen Teilen der Welt
ist für Deutschland befruchtend und wichtig. Wer mit wachen Augen
durch seine Stadt geht, sieht zudem an jeder Ecke, wie sehr die
multikurelle Einflüsse das Leben hier auch schöner machen.
Irritierend ist auch Seehofers zweite Aussage, dass er ohne
Ministeramt in Chemnitz mitdemonstriert hätte - natürlich nicht an
der Seite der Radikalen. Denn den Menschen, denen er sich dort
verbündet fühlt, kann er als Bundesinnenminister sehr viel konkretere
Dienste leisten. In Chemnitz sind neben einem harten Kern von
Neonazis und politischen Brandstiftern auch viele Menschen unterwegs,
die sich nach der mutmaßlichen Tötung eines Mitbürgers durch
Migranten schlicht um ihre eigene Sicherheit sorgen. Es ist Aufgabe
der Regierenden in Sachsen und Berlin, ihnen diese Angst zügig zu
nehmen, um nicht der AfD das Spielfeld zu überlassen. Es braucht in
diesen Tagen weniger nervöse Reaktionen und mehr klaren politischen
Kompass, es braucht weniger Fehlerdiagnose und mehr konsequentes
Handeln. Die demokratischen Kräfte können dabei zeigen, dass
Menschlichkeit und Anstand in aufgewühlter Lage nicht auf der Strecke
bleiben müssen. Ein Lehrbeispiel dafür kommt ebenfalls aus Bayern -
von der Familie der beim Trampen getöteten Studentin Sophia.
Chemnitzer Demonstranten waren mit ihrem Bild durch die Straßen
gezogen. Man mag sich den Schmerz von Sophias Angehörigen nicht
vorstellen - doch sie stemmen sich mit unfassbarer Größe dagegen,
dass ihr eigenes Leid für Rassismus und Hass instrumentalisiert wird.
Schwarz-Weiß-Denken bringt nichts. Auch das deckt die
Migrationsdebatte auf, die so sehr die Gesellschaft polarisiert. Das
gilt auch für Seehofer. Er greift jedenfalls auf - obwohl nun schon
mehrfach mit untauglichen Mitteln - was Menschen nicht nur im Osten
bewegt. Die überwiegende Mehrheit der Bürger empfindet die
Integration von Flüchtlingen als schlecht gelungen. Das gilt auch für
Maßnahmen zum Eindämmen von Kriminalität. Das blenden diejenigen aus,
die reale Probleme gerne auf Seehofer-Schrullen oder den üblichen
Clinch zwischen ihm und Merkel verknappen. Der Landtagswahlkampf in
Bayern verstärkt diese Neigung drastisch. Aktuell konnte sich
SPD-Chefin Andrea Nahles nicht die Zuspitzung verkneifen, Seehofer
habe mit der "Mutter aller Probleme" nur Merkel gemeint. Bei
Unzufriedenen im Land verstärkt das den Eindruck, dass die
Etablierten lieber mit sich selbst beschäftigt sind.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de

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