29.06.2018 21:23:43
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum EU-Gipfel: Eine Frage der Größe von Christian Kucznierz
Regensburg (ots) - Angela Merkel hat geliefert. Sie hat eine
europäische Lösung der Flüchtlingsfrage zustande gebracht, die vor
Wochen noch niemand für möglich gehalten hat. Sie hatte keine Wahl.
Sie hat das auf Druck der wahlkämpfenden Schwesterpartei aus Bayern
schaffen müssen. Aber es war nur durch Merkels Einfluss auf
europäischer Ebene möglich, diese Einigung zustande zu bringen.
Keiner der Staats- und Regierungschefs, egal welcher Partei er
angehört, wollte es zulassen, dass die mächtigste Frau und damit das
wichtigste Land der Europäischen Union ins Wanken gerät durch die
Kraftmeierei einer Regionalpartei. Diese Einigung muss das Ende der
Regierungskrise in Deutschland einläuten. Alles andere wäre
politischer Selbstmord. Natürlich gibt es vieles, was man an den
Gipfelbeschlüssen zur Migration kritisch hinterfragen muss. Warum
etwa sollten sich Regierungen in Afrika Probleme aufhalsen lassen,
die europäische Regierungen gern vom Hals hätten, selbst wenn sie
dafür Geld bekommen? Warum sollte ein chaotischer Staat wie Libyen,
in dem schon jetzt Flüchtlinge in Lagern leben, in denen Gewalt
herrscht, plötzlich humanitäre Standards einhalten? Warum sollte sich
die EU in Abhängigkeit von Staaten begeben, deren Rechtsstaatlichkeit
und Zuverlässigkeit zumindest angezweifelt werden müssen? Die größte
Frage aber ist, warum jetzt auf einmal nicht nur beschlossen ist,
sondern auch umgesetzt werden soll, was jahrelang unmöglich war. Die
Antwort: weil sich die politische Stimmung in Europa gewandelt hat.
Weil der Druck gestiegen ist - nicht nur in Deutschland. Das bedeutet
nicht, dass man plötzlich die Politik machen muss, die den
Forderungen der Populisten entsprechen. Es bedeutet, dass man Politik
machen muss, um Populisten den Boden zu entziehen. Denn sie kommen
nicht aus dem Nichts. Sie werden gewählt - und zwar auch von normalen
Menschen mit Ängsten. Dass die in Zeiten, in denen die Zahl der
Zuwanderung unter der von vor 2015 liegt, irrational sind, steht
dabei zwar auf einem anderen Blatt. Doch klar sein muss auch, dass
wir heute sicher nicht das Ende der weltweiten Wanderungen erleben.
Die Gipfelbeschlüsse zur Migration sind in vielen Bereichen noch
Absichtserklärungen, deren Umsetzung viel Zeit und Geld benötigen
werden - und deren Effizienz im Detail angezweifelt werden darf. Es
ist aber auf jeden Fall gelungen, zu zeigen, dass dieses Europa und
seine Mitgliedsstaaten etwas gemeinsam anpacken wollen. Sie haben
gezeigt, dass es nicht reicht, lautstark etwas zu kritisieren, wie es
Populisten in allen Ländern der EU mittlerweile auch in den
Parlamenten tun. Es geht darum, zu handeln. Die Voraussetzungen sind
nun geschaffen. Wird das der CSU genügen oder braucht sie für ihr Ego
eine Soforthandlung, die, einem Zauberspruch gleich, den Bürgern ihre
Macht demonstriert? Um keiner Illusion zu unterliegen: Die sofortige
Rückweisung von bestimmen Flüchtlingen an der Grenze, die Seehofer
fordert, wird dieser Wirkzauber nicht sein. Dafür ist die Fallzahl zu
gering. Die Frage ist daher: Hat die CSU die Einsicht, ihren
Teilerfolg als solchen zu verkaufen, auch wenn ihr Anteil daran am
Ende vielleicht geringer ist, als versprochen? Hat sie die Vernunft,
nach der Eskalation wieder zu einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre
in der Regierungsverantwortung in Berlin zurückzukehren? Und hat sie
gelernt, dass Krawall und Schlagzeilen nicht unbedingt mit
Wählergunst bezahlt werden? Die CSU hätte die Chance, das Ergebnis
dieses EU-Gipfels als Beleg dafür zu nehmen, was sie zusammen mit
Angela Merkel erreichen kann, national wie international. Die Frage
ist, ob sie die Größe dafür hat. Zu wünschen ist es nicht nur ihr.
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