05.10.2015 21:42:41
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Pascal Durain zu Flüchtlinge
Regensburg (ots) - Es vergeht kein Tag ohne eine neue Nachricht,
die die deutschen Stammtische nicht erschüttert: Laut "Bild"-Zeitung
kommen heuer nicht nur 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland, sondern
noch zusätzlich 920 000 im letzten Jahresquartal. Und dann droht laut
dem internen Bericht, aus dem Bild zitiert, auch noch der
"Zusammenbruch der Versorgung". Zwei Tage nach der Feier zur
Deutschen Einheit wiederholt sich dann das neue deutsche Mantra: Wir
schaffen das nicht, Frau Merkel, wir sind überfordert, wir versinken
doch schon jetzt im Chaos. Gute Nacht christliches Abendland!
Besorgniserregend ist tatsächlich etwas anderes. Die Bundesregierung
weist die Zahlen zurück. Das ist auch wenig überraschend: Denn schon
vergangene Woche hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärt:
"Wir haben das (den Flüchtlingszustrom) nicht vorhergesehen."
Hinterher seien natürlich alle schlauer. Dass nicht nur
Nichtregierungsorganisationen wie der Rat für Migration sondern auch
Anrainerstaaten wie Italien oder Griechenland und selbst die
EU-Kommissionen immer wieder darauf hingewiesen haben, dass Europa
bald eine humanitäre Katastrophe bevorsteht, ignorierte de Maizière
dabei so selbstbewusst wie fahrlässig. Ebenso den Fakt, dass das
Dublin-Verfahren, durch das sich europäische Binnenstaaten
komfortabel vor der Aufnahme von Flüchtlingen schützen konnten,
gescheitert ist, weil sich die EU-Länder gegenseitig die Schuld
zuschieben. Da passt es nur zu gut, dass Bundeskanzlerin Angela
Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck zwar Willkommenskultur
predigen, im selben Atemzug rufen sie aber nach einer stärkeren
"Sicherung der europäischen Außengrenzen". Dahinter steht nichts
anderes, als das europäische Problem gar nicht erst europäisch werden
zu lassen. Heinrich Heine schrieb in seinem Wintermärchen von 1844:
"Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf
gebracht." Heute würde er, der dichtende Jude, der nach Frankreich
floh, wohl gar nicht mehr einschlafen. Immer mehr Flüchtlingsheime
brennen, Tausende gehen gegen eine "Asylflut" auf die Straße, die
Angst vor dem Fremden geht um: Wie kaum zuvor prägt in Deutschland
ein Chauvinismus den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Und
wie in kaum zuvor offenbart sich in der Flüchtlingspolitik Heuchelei
und Feindseligkeit. Beispiel gefällig? Heimatminister Markus Söder
(CSU), der eben noch das Grundrecht auf Asyl außer Kraft setzen
wollte: "Vielleicht hätten wir die 86 Milliarden Euro für
Griechenland besser in den massiven Schutz der Grenzbereiche
investiert." Oder CDU-Vize und Schäuble-Schwiegersohn Thomas Strobl:
"Die Gesetze macht bei uns in Deutschland nicht der Prophet, die
macht bei uns in Deutschland das Parlament." Strobl Richtung Balkan:
"Wir werden euch schnell wieder zurückschicken. (...) Ihr werdet
schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid, nur ihr werdet noch
ärmer sein." Das ist nicht nur anmaßend; das ist rassistisch und
bedient eine Pegida-Logik: Wir, die ja aus Ruinen auferstanden sind,
gegen die "Wirtschaftsflüchtlinge", die "unsere Sozialkassen
plündern". Dass Deutschland und Europa vor einer wachsenden
humanitären Herausforderung stehen, steht unbestreitbar fest.
Behörden und Kommunen sind überfordert. Aber wie reagiert die
Politik? Das Asylrecht soll umfassend eingeschränkt werden,
rechtsfreie Räume geschaffen (Transitzonen) und schnell eine
Obergrenze festgelegt werden. Die Grenzen sind schon dicht. Staaten,
die nicht sicher sind wurden bereits wieder besseren Wissens als
sicher eingestuft - oder sind kurz davor, siehe Türkei. Es ist wieder
kalt in Deutschland. Man muss sich nur eines fragen: Was ist die
Alternative, wenn wir uns dieser Verantwortung in der
Flüchtlingskrise nicht stellen? In Artikel 16a Grundgesetz heißt es:
"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Grundrechte sind nicht
verhandelbar. Wer das ernsthaft fordert, legt die Axt an die Werte
an, die wir von den Flüchtlingen zu achten einfordern.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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