06.10.2015 22:22:37

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Daniela Weingärtner zu Safe-Harbor-Urteil

Regensburg (ots) - Eigentlich wussten wir es schon vor dem Urteil des höchsten europäischen Gerichts: Unsere Daten sind in den USA nicht sicher. Die dortigen Gesetze stufen Sicherheitserwägungen höher ein als den Schutz der Privatsphäre. Unternehmen können deshalb jederzeit dazu aufgefordert werden, Kundendaten herauszugeben. Hinzu kommt die offenbar gängige Praxis der Geheimdienste, Daten ohne gesetzliche Grundlage massenhaft abzusaugen. Die Liste der Enthüllungen ist lang: Bankdaten europäischer Kunden aus dem internationalen Zahlungssystem Swift wurden dem Heimatschutzministerium übermittelt - völlig legal und ohne Wissen der Betroffenen. Fluggesellschaften wurden zur Herausgabe von Passagierdaten genötigt. Hätten sie sich geweigert, wäre ihnen die Landeerlaubnis auf US-Flughäfen entzogen worden. Mit einem Abkommen versuchte die EU, diesen rechtsfreien Zustand zu beenden und ein Mindestmaß an Persönlichkeitsrechten einzufordern. Die Verhandlungen waren zäh und wenig erfolgreich - wie auch die jahrelangen Gespräche über ein transatlantisches Datenschutzabkommen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat das langjährige und vergebliche Mühen der Europäer, in den transatlantischen Geschäftsbeziehungen eigene Standards durchzusetzen, erneut ins Bewusstsein gerückt und den NSA-Skandal wieder ins Gedächtnis gerufen. Was aber geschieht jetzt? Die EU-Kommission gibt sich dankbar, weil ihr das Urteil in künftigen Datenschutz-Verhandlungen den Rücken stärke. Als würde sich Washington von einem Urteilsspruch aus Luxemburg beeindrucken lassen. Facebook, dessen Umgang mit Daten der Auslöser für die Klage war, fühlt sich vom Richterspruch überhaupt nicht berührt. Man verlasse sich gar nicht auf die vom Gericht beanstandete "Safe-Harbor"-Vereinbarung sondern nutze andere gesetzliche Grundlagen, ließ ein Unternehmenssprecher wissen. Das Dilemma, das sich schon bei den Daten von Flugpassagieren offenbarte, lässt sich durch den Richterspruch nicht aus der Welt schaffen. Die Europäer wollen mit den Amerikanern Geschäfte machen - und die sitzen dabei offenbar am längeren Hebel. Dazu passt die Nachricht, dass das Handelsabkommen der Pazifikanrainer mit den USA unter Dach und Fach ist. Nun drängt die europäische Wirtschaft noch stärker als bislang darauf, das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP ebenfalls abzuschließen, um nicht gegenüber anderen Regionen ins Hintertreffen zu geraten. Auch TTIP wird nur zustande kommen, wenn die EU beim Datenschutz und anderen Standards bereit ist, große Abstriche hinzunehmen. Europäische Datenschützer warnten direkt nach dem Urteil, Cloud-Dienste von Google müssten nun ebenso auf den Prüfstand wie die Profianwendungen Dreamforce oder Office 365. Die Nutzer von Google, Facebook, Amazon und Co. wird das wenig beeindrucken. Sie schätzen im Zweifel die eigene Bequemlichkeit mehr als die Integrität ihrer Daten. Deshalb kommt nach dem Luxemburger Urteil den nationalen Datenschutzbehörden eine Schlüsselrolle zu. Sie müssen nämlich künftig bei jeder Geschäftsvereinbarung mit US-Firmen prüfen, ob die Rechte des Verbrauchers auf Privatsphäre und Klagemöglichkeiten gewahrt sind. Den Blankoscheck, der die USA pauschal zum "sicheren Hafen" für europäische Daten erklärte, hat das Gericht kassiert. Es steht zu vermuten, dass irgendwo in Moskau ein seit zwei Jahren zum Exil verdammter junger Amerikaner das Urteil mit großem Interesse und mit Freude zur Kenntnis genommen hat. Edward Snowden hat mit seinen Enthüllungen die Welt erst wachgerüttelt. Nun sollten die Europäer darauf achten, dass sie sich nicht wieder einlullen lassen.

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