27.10.2015 21:57:38
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christine Schröpf zu Asylpolitik/Seehofer
Regensburg (ots) - Wie oft kann man Kanzlerin Angela Merkel in der
Asylpolitik Ultimaten stellen und drohen, ohne sich selbst zum
Gespött zu machen oder zumindest die eigene Machtlosigkeit zu
beweisen? Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer testet das
gerade aus. Gefühlte drei oder vier Mal hat er in den vergangenen
Wochen gegenüber Berlin große Drohkulissen aufgebaut, ohne seinen
Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Nun wird das
Allerheiligen-Wochenende als letzte Frist genannt. Was allerdings
unter "Notwehr" an der bayerisch-österreichischen Grenze zu verstehen
ist, bleibt nebulös. Wegen des Überraschungseffekts, heißt es aus dem
Kabinett. Man wird sehen. Zur Wahrheit gehört wohl auch, dass
"Notwehr" gar nicht so einfach ist, wenn man sich als Rechtsstaat
versteht. Und selbst wenn sich die "Notwehr" im Graubereich des
juristisch Möglichen bewegt, muss sie deswegen nicht politisch
machbar sein. Beispiel: Schließung der Grenzen zu Österreich. Wer
möchte Bilder von frierenden und entkräfteten Flüchtlingen
verantworten, denen von Polizisten der Zutritt nach Bayern verwehrt
wird? Seehofer gebärdet sich aus unterschiedlichen Motiven als
Störenfried der Asylpolitik. Ein wichtiger Teil ist Not und echte
Überzeugung. Gut 350 000 Flüchtlinge sind seit Anfang September nach
Bayern eingereist - besser gesagt nach Niederbayern. 350 000 Kinder,
Frauen, Männer, die Essen, ein Bett und ein Dach über dem Kopf
brauchen, was die Behörden vor immense logistische Aufgaben stellt.
Passau und kleine Gemeinden wie Wegscheid an der Grünen Grenze sind
überfordert, vor allem weil der Zustrom völlig unkontrolliert ist:
Mal stehen Helfer bereit und niemand kommt. Dann treffen nachts
plötzlich Hunderte Flüchtlinge ein - unter tätiger Mithilfe des
Nachbarlandes Österreich, das Flüchtlinge ohne Vorwarnung der
bayerischen Behörden in Bussen bis kurz vor die Grenze bringt.
Gerechterweise sei gesagt, dass die Österreicher in der Vergangenheit
viele Asylbewerber aufgenommen haben - vor Merkels Einladung an die
Flüchtlinge in Budapest sogar mehr als Deutschland, wenn man das
Verhältnis pro 1000 Einwohner als Kennziffer heranzieht. Doch jetzt
bringt es die Alpenrepublik im Durchwinken von Asylbewerbern zur
Perfektion. Ein völlig inakzeptables Verhalten. Seehofer verlangt von
Merkel zu Recht ein Machtwort gegenüber dem österreichischen Kanzler
Werner Faymann. Minimallösung ist, dass die Flüchtlinge in einem
koordinierten Verfahren nach Deutschland einreisen. Eigentlich eine
Selbstverständlichkeit unter befreundeten Nachbarländern. Doch in der
Flüchtlingskrise gilt das offenbar nicht. So bleibt Skepsis
angebracht, ob Österreich beim Anruf aus Berlin sofort einlenken
wird. Wenn man dazu bereit wäre, hätte man es längst getan. Wie
könnte im Ernstfall Seehofers "Notwehr" aussehen? Spekuliert wird,
dass Bayern die Grenzen zumindest für kurze Zeit dicht macht - als
klares Signal an Österreich, vor allem aber an die Flüchtlinge, dass
sich die Willkommenskultur in Deutschland dem Ende zuneigt. An den
Bau von Grenzzäunen - wie von der Opposition nach einer Steilvorlage
von CSU-Minister Markus Söder gerne kolportiert - denkt dabei aber
ernsthaft keiner. Wahrscheinlicher ist, dass Zufahrtsstraße und
Brücken gesichert werden. Doch das löst das Problem nicht, verlagert
es bestenfalls nach Österreich: Und von dort im Domino-Effekt weiter
in andere Länder entlang der Balkanroute, falls auch Österreich als
Reaktion auf Bayern seine Grenzen dicht macht. Die Flüchtlinge und
ihr Elend - sie verschwinden damit nicht. Sie würden nur ein Stück
aus dem unmittelbaren Blickfeld rücken. Doch all das ist Spekulation.
Keiner weiß, wann Seehofer welche Drohung wahr macht. Weit klarer
ist, wem die CSU auch künftig die Rolle des Sündenbocks in der
Asylpolitik zugedacht hat: Auf diesen Part bleibt die Kanzlerin
abonniert. Ein riskantes Manöver. Die Union sitzt in einem Boot. Wenn
Merkels Aktien bei den Bürgern sinken, fällt auch der Kurswert der
CSU. Die aktuellen Umfragen beweisen es.
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