04.03.2018 20:43:42
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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur GroKo
von Bernhard Fleischmann
Hurra, wir leben noch. Was war das für Staatskrise! Puh, nun ist
es gerade noch mal gut gegangen. Die Zeit des Bangens, der
Ungewissheit ist vorbei. Deutschland kann wieder regiert werden. Von
nun an geht es voran. Oder? Nun ja, irgendwie schon. Aber so sehr
sich auch viele Bürger endlich stabile Verhältnisse gewünscht haben
sie werden vorübergehend sein. Die Neuauflage der Koalition ist der
Beginn einer Übergangsregierung. Sie sollte nicht vier Jahre
weiterbestehen und auf gar keinen Fall dann noch einmal fortgesetzt
werden. Denn sobald die Bürger überzeugt sind, dass sie wählen
können, was sie wollen, am Ende bekommen sie die zwei Altparteien
serviert, könnten sie noch mehr alles Mögliche wählen - aber bloß
nicht Union oder gar SPD. Die Tür würde sich weiter öffnen für
radikale Egomanen, wie es in einigen Nachbarländern längst passiert
ist. Deshalb sollten wir uns eine begrenzte Regierungszeit dieser
GroKo wünschen. Was aktives Regierungshandeln betrifft, ist in den
vergangenen Monaten wenig passiert, klar. Aber das Staatskrisengerede
darf man als Alarmismus abhaken. Nein, wir hatten keine Staatskrise.
Wir hatten fließend Wasser, Strom, wurden nicht von wilden Horden
überrannt, die Bahn verkehrte kaum unzuverlässiger als zuvor, der BER
wurde teurer, Polizei und Justiz taten ihre Arbeit. Alles wie gehabt.
Das wäre auch dann so geblieben, wenn sich die Union auf eine
Minderheitsregierung eingelassen hätte. Diese hätte wahrscheinlich
eine begrenzte Lebensdauer gehabt, aber daran wäre Deutschland nicht
zugrunde gegangen. Nun rühmen die Befürworter die Neuauflage der
GroKo als einzig pragmatische Lösung. Für all jene, die an morgen
denken, ist das eine sehr plausible Argumentation. Für viele, die an
übermorgen denken, türmen sich nach wie vor die Zweifel. Denn es
fehlt der Glaube an die Kraft von Union und SPD, während eines
Regierungsbündnisses in den Zwängen des ständigen Kompromisses eine
neue, klare Identität zu finden. Die ist jedoch nötig. Die Menschen
sehnen einen Wandel herbei. Das tun nicht nur die Radikalen und die
Populisten. Vielmehr geht es auch der großen Mehrheit der Bürger mit
moderaten politischen Ansichten so. Zwar lebt die überwiegende
Mehrheit in zufriedenstellenden Verhältnissen. Die Wirtschaftsdaten
zeigen Bestwerte an. Aber die meisten Menschen, die mit gewöhnlicher
Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, verharren in Stagnation,
viele fallen zurück. Es ist das Versprechen verloren gegangen, dass
es - ein Grundbedürfnis - für sie eines Tages aufwärtsgehen wird. Das
Gefühl, es ginge gerecht zu, erodiert mehr und mehr. Martin Schulz
hatte die richtige Idee, mit diesem Thema in den Wahlkampf zu
starten. Die Partei hat ihn aber auf halbem Weg eingebremst und die
Diskussion darüber zerfranst. Die Ironie liegt nun darin, dass der
Koalitionsvertrag in großen Teilen ein SPD-Vertrag geworden ist. Nur
hat sich die SPD schon zuvor von ihren vorübergehend großen
Gerechtigkeitszielen wieder gelöst. Merkel hat die Union für ihre
Kanzlerschaft verkauft. Das nimmt ihr die CDU zwar übel, aber so
richtig in revolutionäre Wallung ist die Partei darob auch nicht
gelangt. Ein duldsames Parteivolk. Und die SPD hat Merkel mit ihrem
Votum nun auch das politische Überleben gesichert. Mit dem Ja vom
Sonntag hat sich die SPD eine unmittelbare Zerreißprobe erspart. Aber
auf lange Sicht hat sie noch nicht gewonnen. Was wäre, wenn die SPD
in der GroKo zur Kleinpartei verdampft? In der Wirtschaft teilen sich
die Wettbewerber die Märkte eines Pleite-Unternehmens auf. Grüne,
Union und Linke könnten sich jeweils einzelne Bruchstücke
einverleiben. Oder es formt sich eine linke Sammlungsbewegung, wie
sie Sarah Wagenknecht vorschwebt. Wahrscheinlich werden wir in zehn
Jahren die Parteienlandschaft von heute kaum wiedererkennen. Das kann
auch positiv sein und schlicht einen Wandel abbilden. Momentan sieht
es leider nicht danach aus.
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