26.01.2014 19:04:59
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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Thema Zuwanderung
Die Gesellschaft schrumpft und altert, die
Sozialversicherungssysteme drohen auf lange Sicht in die Knie zu
gehen. Die Wirtschaft buhlt um Fachkräfte aus dem Ausland, weil die
Unternehmen schon heute nicht mehr wissen, wie sie die freien Stellen
besetzen sollen - auch in Ostbayern: Der Industrie fehlen Ingenieure,
weshalb diese auch im Nachbarland Tschechien angeworben werden;
Landärzte müssen ihre Praxen zusperren, weil sich kein Nachfolger
unter dem deutschen Medizinernachwuchs findet. Interesse zeigen Ärzte
aus dem Ausland, die sich mancherorts für den Einsatz auf dem flachen
Land vorbereiten. Außerdem weiß niemand, wer sich einmal um die
vielen Pflegebedürftigen kümmern soll. Heute schon pflegen etwa 100
000 Frauen aus Osteuropa Oma und Opa. Ein Pilotprojekt holt nun 150
chinesische Pflegefachkräfte nach Deutschland, um den
Fachkräftemangel zu kompensieren. "Einwanderung tut diesem Land sehr
gut", sagte Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich. Deutschland
braucht Zuwanderung sogar - und dessen sind sich - laut aktuellem
ZDF-Politbarometer - auch die meisten bewusst. Eigentlich. Wären da
nicht diese irrationalen Ängste vor der Andersartigkeit, die
Vorurteile dem "Fremden" gegenüber, die in vielen Menschen schlummern
und die von bestimmten Parteien vorzugsweise dann gezielt aktiviert
werden, wenn Wahlen bevorstehen. So wie jetzt. "Wer betrügt, der
fliegt", hieß die unsägliche Kampagne, die die CSU gestartet hatte,
bevor am 1. Januar für Rumänen und Bulgaren die volle
Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU in Kraft trat. Erinnerungen an
2011 wurden wach, als am 1. Mai für Esten, Letten, Litauer, Polen,
Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn die Schranken auf dem
EU-Arbeitsmarkt fielen. Die "Einwanderungswelle", vor der damals
selbstredend die CSU besonders gewarnt hatte, blieb erwartungsgemäß
aus. Vielmehr sind Betriebe vor allem in strukturschwachen Regionen
heute froh, ohne großen bürokratischen Aufwand auf qualifizierte
Arbeitskräfte aus diesen Ländern zurückgreifen zu können. Nun haben
es die Christsozialen wieder getan. Wieder hat die CSU gezündelt und
gehörigen Schaden angerichtet. So zeigt das ZDF-Politbarometer, dass
die Zuwanderung für die Bürger neuerdings das "wichtigste Problem" in
Deutschland darstellt. 22 Prozent gaben dies bei der Umfrage im
Januar an. Im Dezember waren es über zehn Prozent weniger gewesen.
Zudem teilen 62 Prozent der Befragten den von der CSU erhobenen
Vorwurf, dass viele der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien nur
nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.
Bundespräsident Joachim Gauck hat schon Recht: Vor lauter politischer
Korrektheit die tatsächlich bestehenden Probleme zu ignorieren, die
Zuwanderung aus diesen Ländern mit sich bringen kann, wäre völlig
falsch. Doch hier wurden Realitäten verzerrt. Es ist höchste Zeit,
dafür zu sorgen, dass in dieser irrationalen Zuwanderungsdebatte
endlich wieder die Fakten sprechen. Und die wären, dass einer Studie
des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge seit 2000 die
Qualifikation der Einwanderer stetig zunimmt; dass jeder vierte
Zuwanderer aus Südosteuropa ein Akademiker ist; dass 29 Prozent der
in den 2000er Jahren Zugewanderten über einen Studienabschluss
verfügt; und dass der Anteil der Akademiker unter den Einwanderern
über dem deutschen Bevölkerungsschnitt liegt. Und es wird Zeit, dass
der Wahlkampf endlich vorbei ist, damit sich die CSU wieder beruhigen
kann. Bis dahin macht der EU-Abgeordnete und Vize-Fraktionschefs der
Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, Hoffnung, der von
seiner Partei fordert, sich im Europawahlkampf nicht nur auf das
Thema Zuwanderung beschränken. "Wir müssen mehr für Zukunftsthemen
eintreten", sagte der niederbayerische CSU-Bezirksvorsitzende. Damit
hat er einen Schritt richtig gemacht - es gibt mehr Themen als die
Zuwanderungsdebatte. Jedoch darf seine Partei nicht vergessen: Ein
Zukunftsthema ist auch die Zuwanderung - dann, wenn sie von unnötigen
Ängsten befreit ist und als Chance wahrgenommen wird.
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