21.06.2016 22:07:38
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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Kurs der SPD
von Reinhard Zweigler
Die älteste deutsche Partei ist auch heute ein Widerspruch in sich. Schwankten die Ahnen der Gabriel, Nahles und Co. vor einhundert Jahren bei der Frage: umstürzende Revolution oder schrittweise demokratische Veränderung, so treibt die heutigen Sozialdemokraten die Frage um: völlig auf ein linkes Bündnis, mit Grünen und Ganz-Linken, setzen oder aber die Mehrheit in einer obskuren Mitte suchen. Etwa weiter und wieder mit der ungeliebten Union regieren. Mist sei das eine wie das andere, meine manche in der SPD. Der Widerspruch, dass einerseits nahezu sämtliche politischen Projekte der SPD - vom Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote bis zur Mietpreisbremse - umgesetzt wurden, aber andererseits die Partei seit Jahren im Umfragekeller stecken bleibt, nervt die Parteispitze, frustriert die Mitglieder, enttäuscht die potenziellen Wähler. Bitternis steigt auf, Enttäuschung auch. Die Welt ist ungerecht. Sigmar Gabriel versucht nun, nicht einmal ungeschickt, den Ausweg aus dieser Misere in der Beschwörung des neuen, gemeinsamen Feindes aller "progressiven Kräfte". Und das sind nicht die Konservativen, die Union, CDU und CSU, sondern die "radikale bürgerliche Rechte", die im Schafspelz der Bürgerlichkeit daher komme, gegen Einwanderer und Flüchtlinge hetze, die Minderheiten ausgrenze und ansonsten die Ungleichheit in der Gesellschaft wie ein Natureereignis hinnehme. Gabriel geht es bei seiner Beschreibung des politischen Frontverlaufs in Deutschland, nicht nur um die rechtspopulistische AfD, die auch den Sozialdemokraten viele unzufriedene Wähler abspenstig macht. Sondern er lässt den Blick weiter schweifen. Ihm geht es auch um die besorgniserregende europaweite Bewegung der Rechtspopulisten. Bis hinein in die USA, wo sich der Milliardär Donald Trump anschickt, mit rechtspopulistischen, kruden Sprüchen das Weiße Haus zu erobern. Der SPD-Chef warnt vor einer Revision der Demokratie von rechts. Man muss diese Zuspitzung Gabriels nicht teilen, zumindest jedoch sollte man darüber nachdenken, wohin es führen würde, wenn in Deutschland Flüchtlingshasser und Europafeinde etwas zu sagen hätten. Mit Wir-sind-dagegen-Parolen und einem Wiederaufleben von Nationalismus sähe die Zukunft in der Tat trübe aus. Für die künftige Ausrichtung der SPD jedoch besagen Gabriels Äußerungen wenig bis gar nichts. Mal blinkt er links, wie jetzt, mal schielt er in die Mitte - der künftige Kurs der gebeutelten Partei ist nach der Wortmeldung des Parteichefs unbestimmter denn je. Er ist ein Meister im Aufsteigenlassen von Testballons. Zudem muss der gewichtige Vorsitzende in seinem Hauptberuf als Bundeswirtschaftsminister Dinge durchsetzen und verteidigen, die ihm selbst viele Anhänger übel nehmen, vom Freihandelsabkommen TTIP bis zu Erbschaftssteuer. Der zuletzt nur mit einem glanzlosen Ergebnis wiedergewählte SPD-Vorsitzende ist nicht unangreifbar. Man äußert Kritik an ihm nur nicht öffentlich. Konkurrenten werfen ihren Hut nicht in den Ring. Zudem sitzt den Genossen nach den beiden Wahlpleiten in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt vom März die Angst im Nacken, im Herbst auch in Berlin und Schwerin die Regierungsmacht zu verlieren. Das wäre ein böses Signal für die Landtagswahlen im Frühjahr und schließlich für die Bundestagswahl 2017. Mut und Macht muss man haben und wollen, hat sich die SPD-Spitze in einem Papier vor einer Woche selbst ins Stammbuch geschrieben. Den Mut und den Willen zur Macht kann man Gabriel gewiss nicht absprechen. Die Frage ist nur, Mut und Macht wozu?
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