20.08.2017 19:23:56
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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Erdogan
von Reinhard Zweigler, MZ
Die Zunge ist schärfer als das Schwert, sagt ein türkisches Sprichwort. Präsident Recep Tayyip Erdogan fühlt sich fast schon wie ein Sultan und seine Worte werden immer verletzender. Er dreht damit weiter an der Eskalationsschraube, macht Druck auf alle wirklichen und vermeintlichen Feinde seines Kurses im Inland. Zugleich weitete er seine Verbalattacken gegen das Ausland aus. Vor allem Deutschland nimmt Erdogan mit wahrer Wollust immer wieder ins Visier. Nach unsäglichen Nazi-Vergleichen, nach der Verhaftung deutscher Journalisten und Menschenrechtler in der Türkei, die dort kein faires rechtsstaatliches Verfahren bekommen, legte Erdogan nun nach und forderte wahlberechtigte Deutsch-Türken auf, bei der Bundestagswahl nicht ihr Kreuz bei Union, SPD oder Grünen zu machen. Doch mit dieser Anmaßung nicht genug, knöpfte sich der Boss vom Bosporus nun den deutschen Außenminister vor. Sigmar Gabriels Kritik an der Einmischung in den deutschen Wahlkampf betrachtet der Präsident glatt als Majestätsbeleidigung. Es fehlt nur noch, dass Erdogan zur Auspeitschung des deutschen Chefdiplomaten aufruft. Allerdings, man kann und muss sich über Erdogans Entgleisungen empören, doch zugleich muss Berlin kühlen Kopf bewahren. Auch wenn es derzeit verdammt schwerfällt, der Gesprächsfaden zu Ankara darf nicht gekappt werden. Die Türkei ist objektiv immer noch ein wichtiger Verbündeter in der Nato, beim Kampf gegen islamistischen Terrorismus und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Nur darf sich Deutschland, darf sich die EU, darf sich der Westen nicht erpressbar machen. Es gibt viele Felder, auf denen jetzt harte Kante gezeigt werden kann und muss. Die Vorbeitrittshilfen für die Türkei könnte Brüssel ebenso einfrieren, wie es die Beitrittsverhandlungen auf Eis legen sollte. In der jetzigen undemokratischen Verfassung ist das Land kein Beitrittskandidat. Ankaras Reaktion auf die Androhung eines deutschen Investitionsstopps im Land am Bosporus sowie auf verschärfte Reisehinweise für Touristen haben gezeigt, dass wirtschaftlicher Druck durchaus Wirkung zeigen kann. Es müssen nur alle mitmachen. Eine einheitliche, abgestimmte Politik der EU gegenüber der Türkei ist dringend notwendig. Klare Kante ist erst recht geboten im Fall des in Spanien auf türkisches Betreiben hin festgenommenen Schriftstellers Dogan Akhanli. Der seit vielen Jahren in Deutschland lebende Türke mit deutschem Pass hat sich mit seinen Veröffentlichungen über schlimme Menschenrechtsverletzungen, etwa dem Genozid an Armeniern im osmanischen Reich, Erdogan zum Feind gemacht. Der will die Verbrechen vor 100 Jahren unter den Teppich kehren. Akhanlis Auslieferung an die Türkei wäre ein Kotau vor dem Möchtegern-Sultan. Sie muss mit allen diplomatischen, politischen und rechtlichen Mitteln, die Berlin zur Verfügung stehen, verhindert werden. Offenbar jedoch braucht der nach Errichtung einer Präsidialdiktatur strebende Erdogan diese Auseinandersetzung. Er erfindet Sündenböcke, gegen die sich der Volkszorn richten kann. Erst war das nur die Arbeiterpartei PKK als Speerspitze der nach Unabhängigkeit strebenden Kurden in der Osttürkei. Dann kamen die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen hinzu, mit dem man bis vor wenigen Jahren noch eng liiert war. Inzwischen lässt Erdogan gegen beinahe alles vorgehen, was irgendwie demokratisch, bürgerlich, liberal, westlich ist. Mit dieser Strategie des Aufbaus von Feindbildern schweißt Erdogan einerseits die eigenen Anhänger zusammen. Andererseits jedoch spaltet und polarisiert er die Türkei weiter. Seit den Zeiten von Staatsgründer Kemal Atatürk hat es keinen demokratisch gewählten Staatschef gegeben, der dermaßen die Demokratie abbaut, Menschen in die Gefängnisse werfen lässt und Menschenrechte mit Füßen tritt.
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