14.09.2016 22:22:39

Mittelbayerische Zeitung: Dicke Bretter bohren - Anerkannte Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist eine riesige Herausforderung. Von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots) - Als vor über 50 Jahren die ersten "Gastarbeiter" aus Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, der Türkei oder Jugoslawien nach Deutschland kamen, geschah dies vor allem, weil den hiesigen Unternehmen schlicht Arbeitskräfte fehlten. Die neuen südländischen Kollegen, die zumeist schlecht oder gar nicht Deutsch sprachen, verrichteten vor allem schlecht bezahlte Hilfsarbeiten in der damals boomenden Kohle- und Stahlindustrie. Später stellten auch Autobauer ausländische Kollegen ein. Über deren "Integration" in die deutsche Gesellschaft machte man sich damals kaum Gedanken. Denn die Gäste waren schließlich zum Arbeiten, zum Geldverdienen gekommen. Irgendwann würden sie wieder nach Hause gehen. Dies war freilich ein fataler Trugschluss jener Jahre. Heinrich Böll schrieb seinerzeit: Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen. Manche heutige Probleme mit Migranten der inzwischen dritten Generation gehen auf jene Fehleinschätzung zurück. Neben Beispielen für gelungene Integration konnten sich Parallelwelten entwickeln. Die damaligen Fehler sollten heute angesichts von hunderttausenden Flüchtlingen, die eine Arbeit und Einkommen suchen, möglichst nicht wiederholt werden. Dazu gehört, dass man sich den Realitäten stellt. Wunschdenken, dass etwa Flüchtlinge das deutsche Fachkräfteproblem würden lösen können - und dies auch noch in kurzer Zeit -, hilft da nicht weiter. Bestenfalls können Flüchtlinge den Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen etwas mildern. Das ist immerhin etwas. Es müssen dicke Bretter gebohrt werden. Und auch politisch ist die Herausforderung höchst brisant. Noch immer geistert das Vorurteil durchs Land, dass "die" Flüchtlinge "den" Deutschen die Arbeit wegnähmen. Auch gilt es zu verhindern, dass durch die Beschäftigung von Flüchtlingen Sozialstandards unterlaufen werden, dass etwa dauerhaft der gesetzliche Mindestlohn ausgehebelt wird. Kurz, dass massenhaft Beschäftigung zu Dumpinglöhnen entsteht. Es hilft wenig, wenn von der Politik nun die "große Gemeinschaftsaufgabe" der Integration ins Arbeitsleben in Wir-schaffen-das-Manier beschworen wird, sie muss vielmehr konkret geplant, angepackt und umgesetzt werden. Das A und O für einen erfolgreichen Start ins Arbeitsleben ist das Erlernen der deutschen Sprache. Dafür haben der Staat, natürlich die beteiligten Flüchtlinge selbst, aber auch Unternehmen eine Bringschuld. Bislang sind die angebotenen Sprachkurse viel zu gering. Doch das Warten darauf, bis alle einen Kurs bekommen, hilft auch nicht weiter. Viele kleinere Unternehmen, vor allem aus dem Handwerk, die bereits Flüchtlinge in Arbeit und/oder Ausbildung haben, machen vor, wie das Erlernen der Sprache innerhalb der Ausbildung funktionieren kann. Beispielhafte Aktionen, wie etwa das Netzwerk der Industrie- und Handelskammern "Unternehmen integrieren Flüchtlinge", brauchen viele Nachahmer. Denn noch handelt es sich dabei nur um erste zarte, aber gleichwohl notwendige Anfänge. Und natürlich stehen die Jobcenter und Arbeitsagenturen, die bereits mit ihren bisherigen Kunden alle Hände voll zu tun haben, vor einer Riesenaufgabe. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass arbeits- und ausbildungsfähige Flüchtlinge längere Zeit von Hartz IV leben. Das gestrige Treffen von Wirtschaftsverbänden mit der Bundesregierung konnte insofern nur ein Auftakt, nur ein Beschreiben der Herausforderungen sein. Freilich, ein wenig mehr Verbindlichkeit, was der Staat und die Unternehmen auf diesem Gebiet binnen Jahresfrist leisten wollen, wäre noch besser gewesen.

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