29.01.2015 20:27:59
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Landeszeitung Lüneburg: Das Recht des Stärkeren / Frühere Verbraucherschutzministerin Künast sieht in Freihandelsabkommen mit USA nur Nachteile für deutsche Lebensmittelbranche
War die "Grüne Woche" auch jenseits des Ministeramtes noch ein Pflichttermin für Sie?
Renate Künast: Ein Termin, den ich mit Freude wahrnehme. Aber ich war auch auf der Modemesse unterwegs, denn dort geht es neben Chic und Stil ja auch um die Fragen, wie die Stoffe hergestellt werden, wie die Löhne der Näherinnen sind, woher die Daunen stammen.
Sind dort die Lebensmittel und die Landwirtschaft der Zukunft zu besichtigen?
Künast: Ich würde mir mehr davon wünschen. Wenn ein Trend schon zu sehen ist, dann beschäftigt sich natürlich auch die "Grüne Woche" damit. Zu nennen sind erstens die Bio-Produktion, zweitens der regionale Anbau, bei dem die Wertschöpfung vor Ort bleibt und möglichst kurze Transportwege nötig sind, und drittens die vegane Ernährung. Das alles wird Einfluss haben auf die Art und Weise, wie wir produzieren.
Pünktlich zur Messe haben Handel und Erzeuger die Initiative Tierwohl der Öffentlichkeit präsentiert, die mehr Licht, Luft und Platz in die Ställe bringen soll. Was verstehen Sie unter Tierwohl?
Künast: Artgerecht. Deshalb reicht es nicht zu sagen, wir machen jetzt mal ein bisschen mehr. Entscheidend ist, welches Verhalten der einzelnen Tierart entspricht. Hühner zum Beispiel müssen sich aufbäumen und flattern können, sie müssen auch mal über eine Wiese rennen können. Sie brauchen ein Nest und die Stange, auf der sie sitzen. Schweine brauchen einen Stall, den sie jederzeit verlassen können. Wenn sich Tiere ihrer Art entsprechend beschäftigen können, werden sie nicht aggressiv und man muss ihnen nicht die Schnäbel kürzen oder das Schwänzchen abscheiden.
Ist die Initiative ein Schritt in die richtige Richtung oder nur eine Image-Kampagne, die mit marginalen Verbesserungen die Massentierhaltung salonfähig machen soll?
Künast: Allenfalls ein Schritt in die richtige Richtung, ja, aber es ist noch keine wirkliche Reise. Man macht ein bisschen mehr, als vorgeschrieben ist, schafft ein paar Zentimeter mehr Platz, und schon kann man Tierwohl draufschreiben. Nein, wir brauchen Standards, die auf den eben genannten spezifischen Haltungsbedingungen basieren, und zwar über die nationalen Grenzen hinaus, denn wir sind ein europäischer Binnenmarkt. Und wer dann noch Premium macht, kann auch damit werben. Wichtig ist aber auch die Kennzeichnung. Ich habe als Ministerin "Kein Ei mit der 3" durchgesetzt: Eier aus Käfighaltung sind mit der 3 gestempelt, Eier aus Bodenhaltung mit einer 2, Freilandeier mit der 1 und Eier aus Ökohaltung tragen eine 0. Das hat dazu geführt, dass Sie im Handel eigentlich keine Frischeier mit der 3 finden. Nicht mal bei Discountern. Was wir bei den Frischeiern gemacht haben, brauchen wir auch bei verarbeiteten Eiern, etwa in Nudeln. Wer kein Bio kaufen kann oder will, muss auch bei einem konventionellen Produkt erkennen können, ob da ein Käfig-Ei drin ist.
In Umfragen geben viele Verbraucher regelmäßig an, für gute und möglichst regionale Lebensmittel mehr Geld ausgeben zu wollen. Und fahren dann trotzdem mit dem Porsche zu Aldi. Wie erreicht man mehr Wertschätzung für artgerechte Tierhaltung und hochwertige Nahrungsmittel?
Künast: Vor allem durch Transparenz und Information, die schon im Kindergarten anfangen muss. Es geht aber nicht nur darum, wie Lebensmittel hergestellt werden und woher sie kommen und ob Gentechnik drinsteckt oder nicht. Zunächst einmal sollten wir wissen, wie unser Körper funktioniert. Wir können jedes neue Smartphone bedienen, aber was wissen wir über unseren eigenen Körper? Was der braucht und was zum Wohlfühlen dazugehört? Kinder müssen auch erfahren, ob sie Kohlrabi oder Möhren lieber gekocht oder roh essen. Kochen zu können ist eine Lebenstechnik. Und jetzt komme ich wieder auf die Kennzeichnung zurück: Zu wissen, was drin ist, ist ein Verbraucherrecht. Ich kämpfe seit Langem für die "Lebensmittel-Ampel", bei der an den Farben Rot, Gelb und Grün bei Fett, Salz und Zucker erkennbar ist, ob das ein Grundnahrungsmittel ist oder ein Snack bzw. eine Süßigkeit.
Um mehr Klasse statt Masse zu produzieren, fordern Kritiker der durchindustrialisierten Agrarbranche auch die Abkopplung vom Weltmarkt. Ist es angesichts der globalen Warenströme nicht eine arg romantische Vorstellung, dass wir unser Fleisch im Hofladen beim Biobauern nebenan kaufen, dessen Tiere nur Futter vom eigenen Acker bekommen haben und nicht aus Lateinamerika?
Künast: Es ist unser Traum, den wir realisieren wollen. Und gute Bio-Betriebe machen das ja auch so. Aber sehen wir doch erst, was wir jetzt zuerst tun müssen - und müssen. Es gibt Dinge, die nicht akzeptabel sind. Etwa bestimmte Formen der Tierhaltung. Für den Bau riesiger Ställe dürfen keine Steuergelder als Subvention ausgegeben werden. Wir müssen Regeln machen, die Landkreise in die Lage versetzen, nein zu sagen zu Bauanträgen, wenn sie sozusagen "voll" sind.
2050 werden zehn Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Die Ressourcen - insbesondere die Ackerflächen - sind begrenzt. Ist das industrielle Agrarmodell, das ja sehr produktiv ist, überhaupt verzichtbar? Können zehn Milliarden Menschen ohne Genfood satt werden?
Künast: Wir müssen sogar dringend darauf verzichten. Die Vereinten Nationen haben vor einigen Jahren einen Weltagrarbericht verfassen lassen. Wissenschaftler haben damals durchgerechnet, welche Umweltbelastungen der Chemie-Einsatz der Agrarindustrie bedeutet. Gerade die Monokulturen der Gentechnik brauchen von Jahr zu Jahr mehr Chemie - und haben am Ende keine größeren Erträge, weil die Pflanzen sehr anfällig sind. Hinzu kommt, dass Herbizide, Fungizide und Düngemittel sehr energieintensiv hergestellt werden. Die CO2- Emissionen wiederum führen zu Wetterextremen und zur Wüstenbildung, wodurch Ackerfläche verloren geht. Deshalb müssen wir weg von Monokulturen und weg vom Chemie-Einsatz und den Anbau von standorttypischen Pflanzen fördern. Zur Ackerfläche in Deutschland kommt hinzu, dass wir die anderthalbfache Fläche in anderen Ländern nutzen - beispielsweise zum Futtermittelanbau. Das ist eine Art neuer Kolonialpolitik. Auf riesigen Flächen in Argentinien wird gentechnisch veränderte Soja angebaut, die bei uns zu Futter wird. Aus neun Kilo pflanzlichem Eiweiß machen wir ein Kilo tierisches Eiweiß. Hinzu kommen die Transportwege. Wenn später mal von irgendwo die grünen Männchen kommen, werden die sagen: Die Menschen auf der Erde waren doch eigentlich nicht so blöd wie sie hier tun. Wir werden nach und nach einen anderen Weg gehen müssen, und da trägt Europa eine große Verantwortung. Wir müssen zeigen, dass Wohlstand nicht bedeutet, jeden Tag Fleisch zu essen, sondern auch heißen kann, dass weniger mehr ist.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sagte, durch das geplante Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA werde das Verbraucherschutzniveau nicht sinken, es gebe keinen Grund zur Sorge. Welche Gefahren birgt TTIP aus Ihrer Sicht?
Künast: Wenn Herr Schmidt meint, wir müssen uns keine Sorgen machen, mache ich mir prompt Sorgen. Es wurde ja viel über das "Chlorhühnchen" geredet. Auch wenn es nicht nach Europa kommt, finde ich, dass das Tier einen guten Job gemacht hat in der Diskussion. Es weist nämlich auf eines hin: Anders als in den USA gilt bei uns der vorsorgende Verbraucherschutz. Und daran müssen wir festhalten. Ich nenne mal zwei Aspekte, die mir besonders querliegen bei TTIP: Ein Ziel ist die sogenannte regulatorische Kooperation. Also eine Zusammenarbeit bei der Beratung neuer Gesetze. Es geht also nicht um geltende Standards, sondern darum, was morgen und übermorgen. Das heißt, wenn die EU etwa die Reduzierung von Pestiziden regeln will, muss Brüssel erst Washington fragen. Hinzu kommt das geplante Schiedsgericht. Ein US-Konzern, der hierzulande in eine Chemiefabrik für Pestizide investiert hat und durch solche EU-Vorgaben seine Gewinnerwartungen enttäuscht sieht, könnte vor einem Schiedsgericht Schadenersatz einklagen. Wir müssten fürs Politik machen einem US-Unternehmen Millionenbeträge zahlen. Das ist nicht akzeptabel. Wir haben hier funktionierende Gerichte.
Können deutsche Verbraucher denn bisher sicher sein, dass das Steak aus Texas nicht von Rindern stammt, die mit Wachstumshormonen und Gen-Mais gemästet worden sind?
Künast: Hormonfleisch will die EU schon jetzt nicht einführen. Für gentechnisch verändertes Futter gibt es eine Kennzeichnung, aber nicht für das Fleisch oder Milch und Käse. Weder für Fleisch aus Texas noch aus Frankreich oder Deutschland. Deshalb tun wir als Verbraucher gut daran, weniger Fleisch zu essen, dafür aber etwas Besonderes. Bei Bio-Fleisch oder dem Neuland-Programm etwa ist in den Konditionen festgeschrieben, dass keine Gentechnik zum Einsatz kommt. Man kann nicht allein die Welt ändern, aber jede Woche einen kleine Beitrag zur Veränderung leisten.
Heiß diskutiert wird auch über den Schutz regionaler Produkte, über Herkunftsbezeichnungen. Ist das nicht eine Farce, wenn Schwarzwälder Schinken so heißen darf, obwohl er nur dort geräuchert worden ist, aber nicht klar ist, woher das Schwein stammt?
Künast: Es gilt für viele solcher Herkunfts- und Handwerksbezeichnungen, dass beispielsweise ein Ferkel, das heute in Dänemark geboren wird, in ein paar Monaten in Parma zum Parmaschinken werden kann. Aber wenn wir die Herkunftsbezeichnungen, die wir jetzt haben, auch noch aufgeben, laufen wir in die falsche Richtung. Wir müssen stattdessen die vorhandenen Regeln verbessern. Sie sind der Fuß in der Tür zu einem neuen Raum. Je mehr Menschen regionale Spezialitäten kaufen, desto mehr werden sich die Märkte auf diese Art der Produktion einstellen. Darum werden wir Europäer übrigens in den USA beneidet. Auch dort gibt es inzwischen den Kampf um die Kennzeichnung von Gentechnik, Zucker und vieles mehr. Die Verbraucher haben ein Recht zu wissen, was drin ist und wie es produziert wurde. Und das alles würde TTIP wie eine Tsunami-Welle wegfegen.
Welche Chancen für die deutschen Landwirte sehen Sie in einem Freihandelsabkommen mit den USA (z.B. bessere Exportchancen)?
Künast: Selbst die großen ostdeutschen Betriebe sind klein im Vergleich zu den riesigen US-Farmen. TTIP ist das Recht des Großen und Starken, da gibt es für uns nichts zu gewinnen. Es wird ja auch mit vielen neuen Arbeitsplätzen geworben, die angeblich durch TTIP entstehen. Aber nur weil es weniger Hindernisse für den Handel mit Lebensmitteln gibt, essen die Leute doch nicht doppelt so viel - das hoffe ich jedenfalls. Die Rechnung mit massenhaft zusätzlichen Arbeitsplätzen wird nicht aufgehen. Was ich durchaus gut finde, ist die Anpassung technischer Standards. Dass man sich nicht anstellt, wenn die Rücklichter der Autos hier rot sind und dort orange. Ich begrüße es sehr, wenn man Ladegeräte vereinheitlicht oder Standards für TÜV-Tests in Europa und den USA verabredet.
Das Gespräch führte
Klaus Bohlmann
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