24.09.2017 21:43:57

Kölnische Rundschau: Kölnische Rundschau zu Bundestagswanl

Köln (ots) - Deutschland hat gewählt - und abgerechnet. Mit einer Kanzlerin, die in einen Wohlfühlwahlkampf ziehen wollte und von der breiten, tiefsitzenden Enttäuschung über ihre Flüchtlingspolitik eingeholt wurde. Mit Herausforderer Martin Schultz, der alles gab, aber letztlich den sozialdemokratischen Nerv der Wähler verfehlte. Beide Lager haben so gewaltig an Stimmen verloren, dass die Wahlforscher von einer Verschiebung der "tektonischen Platten" in der Parteienlandschaft sprechen. Das Ergebnis ist umwälzend, es bedeutet Strafe und Chance zugleich und einen Einschnitt in der Geschichte des Deutschen Bundestages.

Nach Jahrzehnten sitzen erstmals wieder sechs Fraktionen im Parlament. Beide Volksparteien kommen zusammen nur auf wenig mehr als 50 Prozent. Die große Koalition ist abgewählt, neun Minuten nach Veröffentlichung der ersten Wahl-Prognosen verkündete die SPD-Spitze gestern Abend den Rückzug in die Opposition. Die nun einzige Koalitions-Option ist ein schwarz-gelb-grünes Bündnis. Und drittstärkste Kraft ist, wenig überraschend, die AfD.

Dass die Rechtspopulisten durch ein derart weites Tor in den Bundestag einziehen konnten, geht zu einem großen Teil auf das Konto der Regierungsparteien. Die Wahlanalysen weisen einen hohen Anteil von Protestwählern aus. Für das hochemotional diskutierte Flüchtlings-Thema legte die AfD (vermeintlich) einfache Lösungen auf den Tisch, während die Kanzlerin konzeptlos wirkte. Je weniger Gegenentwürfe die SPD anbot, um so leichter konnte sich die AfD als angeblich einzig wählbare Alternative zu den sogenannten Etablierten profilieren.

Mit diesem Denkzettel in der Tasche und dem schlechtesten Ergebnis für die Union seit 1949 konnte sich Angela Merkel gestern nur mit sehr gebremster Freude als Siegerin feiern lassen. Ihre vierte Amtszeit könnte eindeutig besser anfangen. Ihr gegenüber stehen nun ein kraftstrotzender FDP-Chef, der die Liberalen aus dem Nichts in wirklich beachtliche Prozent-Bereiche gepusht hat, und ein Grünen-Spitzenduo, das sich zwar mehr erhofft hatte, aber dennoch begierig ist mitzuregieren. Schwarz-Gelb-Grün - eine andere Option gibt es für die Kanzlerin nicht mehr. Mit der Aussicht auf energiegeladene Regierungsarbeit ohne Groko-Müdigkeit ist das durchaus eine Chance. Aber für einen hohen Preis. Ein Konsens müsste unter vier Partnern gefunden werden, denn die CSU regiert mit. Bei Energiewende, Bürgerversicherung oder Vermögensteuer liegen die Positionen meilenweit auseinander. Angela Merkel wird alle Kraft brauchen, um die Fäden zusammenzuhalten und bei den drängenden Zukunftsthemen Integration, Bildung, Digitalisierung, Renten und Altersarmut voranzukommen.

Für die SPD hat die Parteiführung gestern die einzig richtige Entscheidung getroffen. Die Sozialdemokraten müssen jetzt erst einmal verarbeiten, was sie gerade eingesteckt haben. Und das tut nicht nur der SPD gut. Unter einer sozialdemokratischen Oppositionsführung wird das Debatten-Klima im Bundestag vermutlich konstruktiver und ernsthafter als unter der AfD, die ansonsten stärkste Oppositionspartei gewesen wäre.

Wie ist überhaupt mit den Rechtspopulisten im Bundestag umzugehen? Mit einer Partei, aus deren Reihen immer wieder Mitglieder mit aufhetzenden, fremdenfeindlichen, gelegentlich sogar antisemitischen Äußerungen provozieren. Die Grenzzäune, Strafmündigkeit ab 12, den "Erhalt des eigenen Staatsvolkes" durch "aktivierende Familienpolitik" und einen leichteren Zugang zu Schusswaffen fordert. Abgeordnete auch der AfD sind demokratisch gewählt, ihnen stehen die Rechte aller Parlamentarier zu. Der künftige Bundestagspräsident wird ihnen die Grenzen aufzeigen. Aber es wäre ein gefährliches Signal, eine Lex AfD zu schaffen, wenn es um die Leitung von Ausschüssen geht oder um das Rederecht des Oppositionsführers. Dass noch der alte Bundestag die Geschäftsordnung änderte, die den ältesten Abgeordneten als Eröffnungsredner für die konstituierende Sitzung vorsah, war schon eine zu offensichtliche Anti-AfD-Maßnahme.

Jede Art von Ausgrenzung führt eher zu einer festeren Bindung der Partei-Anhänger. Aus Sicht der Wahlforscher ist auch dies ein Grund, warum die Rechtspopulisten überhaupt so weit kommen konnten.

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