06.05.2013 16:04:30
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Koalition setzt trotz schwächerer Steuereinnahmen weiter auf Sparkurs
Von Andreas Kißler
BERLIN--Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden werden in diesem Jahr wohl nur noch moderat steigen, doch das ist keine Rechtfertigung für ein Verlassen des Sparkurses, sagen Ökonomen und Koalitions-Politiker. Vertreter der Opposition erheben hingegen Vorwürfe gegen die Regierung.
Die offizielle Steuerschätzung läuft bis Mittwoch. Insgesamt drei Tage lang Sitzen die Experten in Weimar zusammen und berechnen die neuen Daten, die eine Grundlage für die Budgetplanungen des Bundes bilden. Erstmals seit drei Jahren dürften sie in ihrer Hochrechnung weniger optimistisch sein als noch ein halbes Jahr zuvor. Bereits jetzt scheint klar: Die Fachleute werden ihren bisherigen Ansatz wegen der schwächeren Konjunktur nach unten revidieren.
Doch Vertreter der Koalition setzten vor diesem Hintergrund ausdrücklich auf eine Fortsetzung der Konsolidierungspolitik und hielten an dem Ziel fest, den Bundeshaushalt 2014 strukturell auszugleichen. "Die absehbare Änderung in den geschätzten Steuereinnahmen ist nicht sehr groß, weshalb sie im weiteren Haushaltsverfahren beherrschbar ist", sagte Unions-Fraktionsvize Michael Meister zu Dow Jones Newswires.
"Wir werden die gesetzten Haushaltsziele beim Bund erreichen", zeigte er sich überzeugt. Allerdings fühle sich die Koalition durch die Entwicklung bei den Steuereinnahmen auch in ihrer Haltung bestätigt, dass es keine Spielräume für Ausgabenwünsche gebe.
Auch aus dem Finanzministerium hieß es, es werde keine Akzentverschiebung bei der Konsolidierungspolitik geben. "Wir gehen weiterhin davon aus, dass an der bisherigen Planung eines strukturell ausgeglichenen Haushalts im Jahr 2014 festgehalten werden kann", erklärte ein Sprecher.
Die Koalition habe in den vergangenen Jahren bewiesen, dass Wachstum und Haushaltskonsolidierung keine Gegensätze seien, betonte CDU-Budgetexperte Norbert Barthle. "Sie wird diese erfolgreiche Politik fortsetzen," zeigte er sich sicher. Steuererhöhungen hingegen seien der völlig falsche Weg.
Die sich abzeichnende Schätztendenz bedeutet nicht etwa, dass die Steuereinnahmen dieses Jahr gegenüber dem Jahr davor sinken werden - sie dürften nur nicht so stark steigen wie vorher erwartet. Anstatt 618 Milliarden Euro würden nun 613 bis 614 Milliarden Euro erwartet, hieß es in Berichten dazu. Das wären vier bis fünf Milliarden Euro weniger. Das Bundesfinanzministerium plant laut Handelsblatt mit 1,5 Milliarden Mindereinnahmen.
Die genannte Größenordnung bestätigen jüngste Ergebnisse des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts, das selbst nicht Teil der Schätzerrunde ist. Nach dessen eigenen Berechnungen, die bereits abgeschlossen sind, werden die Steuereinnahmen mit gut 612 Milliarden Euro um knapp sechs Milliarden unter der Zielmarke bleiben, die die Steuerschätzer im Herbst ausgegeben haben.
Bestätigen sich die Zahlen in dieser Größenordnung, dann bedeutet dies, dass die Spielräume für die Ausgaben zwar enger werden dürften als geplant. Der Staat profitiert aber dennoch von weiter steigenden Einnahmen, denn im vergangenen Jahr hatten sie erst 600 Milliarden Euro betragen.
Doch die Opposition sparte nicht mit Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU). "Die geringeren Steuereinnahmen sind die Ursache einer schwächeren Wachstumsentwicklung in ganz Europa, die nun auch endgültig in Deutschland angekommen ist", sagte der SPD-Budgetexperte Carsten Schneider.
"Damit leidet Deutschland nun auch selbst unter der verfehlten Krisenpolitik der Bundeskanzlerin." Gleichzeitig räche sich nun auch eine verfehlte Konsolidierungspolitik des Finanzministers. "Herr Schäuble hat die guten Jahre nicht genutzt, den Haushalt strukturell zu konsolidieren, sondern die Substanz der Reformanstrengungen von rot-grün unter Gerhard Schröder verzehrt", sagte Schneider.
Die Bundesregierung habe "keine Konzepte, um auf Einnahmeausfälle zu reagieren," meinte die Grünen-Haushaltsexpertin Priska Hinz. Konsolidierung sei "nötig und auch machbar". So müssten "unsinnige Ausgaben" wie das Betreuungsgeld gestrichen werden, und nachhaltige Investitionen, zum Beispiel in energetische Gebäudesanierung, würden zudem Wachstumsimpulse schaffen. "Wolfgang Schäuble hat sehenden Auges übertriebene Konjunkturprognosen durchgesetzt, um im Wahlkampf gute Zahlen präsentieren zu können", warf sie dem Finanzminister vor. "Diese Kalkulation fällt ihm jetzt auf die Füße."
Mit dem von der Koalition bekundeten Sparwillen könnte sich Deutschland noch weiter von anderen europäischen Ländern entfernen, die Wachstumsförderung inzwischen für wichtiger halten als strikte Ausgabendisziplin. Die Entwicklung in Frankreich, das von der EU-Kommission zwei Jahre mehr Zeit zum Abbau der Neuverschuldung erhalten soll, setzt die Bundesregierung dabei zunehmend unter Druck. Denn Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici sieht darin "das Ende des Dogmas der Austerität", sagte er dem Radiosender Europe 1.
Doch auch aus Sicht der Wirtschaftswissenschaftler stellt die zu erwartende Entwicklung keinen Grund für Gegenmaßnahmen der Politik dar. "Das sind Schwankungen mit der normalen Konjunktur", erklärte Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). "Wenn die Steuereinnahmen etwas schlechter laufen, muss die Regierung nicht von ihrer Politik abweichen."
Ausdrücklich warnte Döhrn vor einem Kurs stärkerer Wachstumsförderung, denn dieser berge Gefahren. Schließlich erfahre Deutschland von der Geldpolitik im Moment einen ausgesprochenen Schub. "Man muss sich fragen: Was würde passieren, wenn man von der Finanzpolitik auch noch schieben würde?" Höhere Inflation und eine mögliche Immobilienpreisblase in Deutschland könnten die Europäische Zentralbank dann "in eine sehr unkomfortable Situation" bringen, meinte der Volkswirt.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@dowjones.com
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May 06, 2013 09:33 ET (13:33 GMT)
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