26.02.2022 21:54:39
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Kampf um Kiew - Deutsche Waffen für die Ukraine
KIEW/MOSKAU (dpa-AFX) - Im Krieg Russlands gegen die Ukraine droht eine Ausweitung der Kampfhandlungen vor allem in der Hauptstadt Kiew. Mehrere westliche Länder kündigten weitere Waffenlieferungen für das angegriffene Land an - auch Deutschland machte in dieser Frage am Samstag eine Kehrtwende und unterstützt die ukrainischen Streitkräfte nun mit schweren Waffen aus Bundeswehrbeständen. Zudem zeichnet sich eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ab: Die EU und die USA könnten sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur noch an diesem Wochenende auf einen Ausschluss russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift verständigen.
Der Kreml behauptete, die Ukraine habe am Samstag Friedensverhandlungen mit Russland abgelehnt. Daher werde der "Vormarsch der wichtigsten russischen Streitkräfte" wieder aufgenommen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Die ukrainische Führung dementierte. "Ihre Kommentare, dass wir Verhandlungen abgesagt hätten, sind lediglich Teil ihrer Taktik", sagte Präsidentenberater Mychajlo Podolak einer Mitteilung zufolge.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief seine Landsleute in Videobotschaften zur Abwehr russischer Angriffe auf. Nach Angaben des Innenministers wurden 25 000 automatische Waffen sowie 10 Millionen Patronen an Einwohner Kiews ausgegeben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) teilte mit, dass weit mehr als 100 000 Menschen aus der Ukraine in Nachbarländer geflüchtet seien.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Donnerstagmorgen den Angriff auf die Ukraine begonnen. Bereits am Freitag drangen russische Truppen an den Rand Kiews vor, die Hauptstadt wurde auch aus der Luft beschossen. In Kiew leben rund 2,8 Millionen Menschen.
Zwei Tage nach Kriegsbeginn entschied die Bundesregierung, 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ "Stinger" so schnell wie möglich in die Ukraine zu liefern. Außerdem wurde den Nato-Partnern Niederlande und Estland die Lieferung von Waffen an die Ukraine genehmigt, die aus deutscher Produktion oder DDR-Beständen stammen. Bisher hatte Berlin die von der Ukraine immer wieder geforderte Lieferung tödlicher Waffen mit der Begründung abgelehnt, dass es sich um ein Krisengebiet handelt.
"Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung", erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz. "In dieser Situation ist es unsere Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin." An diesem Sonntag gibt der Kanzler im Bundestag eine Regierungserklärung zum Ukraine-Krieg ab.
Die US-Regierung kündigte an, der Ukraine bis zu 350 Millionen US-Dollar (312 Millionen Euro) zur "sofortigen Unterstützung der Verteidigung" zur Verfügung zu stellen. Die neue Lieferung soll auch Panzerabwehrlenkwaffen vom Typ Javelin umfassen. Die Niederlande liefern 200 Stinger-Flugabwehrraketen, Belgien 2000 Maschinengewehre.
Auch bei einem Ausschluss russischer Finanzinstitute aus Swift will die Bundesregierung nicht mehr im Wege stehen, wie mehrere Minister deutlich machten. "Wir arbeiten daran, Russland so vom Swift-System abzukoppeln, dass Kollateralschäden möglichst klein bleiben", erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf Twitter. Deutschland galt wegen der voraussichtlich hohen Kosten des Schrittes zuletzt als einziger einflussreicher Bremser bei den Planungen für einen Ausschluss russischer Institute - Scholz war deshalb immer stärker unter Druck geraten. Ein Ausschluss Russlands gälte als sehr weitreichende Sanktion, weil damit russische Banken praktisch vom globalen Finanzsystem abgeschnitten würden.
Angaben von Spitzenbeamten zufolge sollte es am Samstagabend eine Videokonferenz mit Scholz, US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Regierungschef Mario Draghi geben. Ziel sei eine Verständigung auf weitere Sanktionen. Demnach könnten dabei neben Swift auch noch andere Strafmaßnahmen vereinbart werden. So ist etwa im Gespräch, die Auslandsvermögen russischer Oligarchen einzufrieren.
Die EU und die USA wollen nicht militärisch in den Konflikt eingreifen. Sie hatten aber bereits eine Reihe von Sanktionen verhängt, auch gegen Putin selbst. Neue EU-Sanktionen traten in der Nacht zum Samstag in Kraft. Die Strafmaßnahmen sollen Russland und seiner Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen.
Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew sagte, Russland werde den Einmarsch trotz der Sanktionen nicht abbrechen. "Die Militäroperation zum Schutz des Donbass wird vollständig und bis zum Erreichen aller Ergebnisse durchgeführt", schrieb der Vize-Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats im sozialen Netzwerk Vkontakte. Diplomatische Beziehungen zum Westen seien "nicht besonders erforderlich".
Nach Angaben eines ranghohen Vertreters des US-Verteidigungsministeriums macht die russische Militäroffensive langsamer Fortschritte als von Moskau erwartet. "Der Widerstand ist größer, als die Russen es erwartet haben", sagte der Vertreter des Pentagons in einem Briefing für Journalisten. Es gebe bis Samstagnachmittag (MEZ) keine Hinweise, dass es den Russen gelungen sei, eine größere Stadt einzunehmen, sagte er einer vom Pentagon veröffentlichten Mitschrift zufolge weiter.
Die Russen hätten inzwischen "mehr als 50 Prozent" ihrer zusammengezogenen Kampftruppen auf ukrainischem Gebiet. "Ich denke, es ist sicher anzunehmen, dass es hier um Zehntausende geht, aber ich werde es nicht genauer sagen."
Selenskyj berichtete in einer Videobotschaft über andauernde Kämpfe in Kiew und anderen Landesteilen. Russische Truppen wollten das Stadtzentrum der Hauptstadt einnehmen und "hier ihre Marionetten installieren", warnte er. Er appellierte an den UN-Sicherheitsrat, die Ukraine dringend politisch zu unterstützen.
Aus Kiew wurden unter anderem Gefechte um ein Heizkraftwerk und eine Kaserne gemeldet. Bilder zeigten Treffer in einem Wohngebäude. Die ukrainischen Behörden warnten: "Auf den Straßen unserer Stadt laufen jetzt Kampfhandlungen." Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko betonte aber, die Hauptstadt sei weiter in ukrainischer Hand. Kämpfe gab es auch um Odessa, Mariupol und andere Städte.
Die ukrainische Armee forderte die Bevölkerung auf, den russischen Vormarsch mit allen Mitteln zu stoppen. "Fällt Bäume, baut Barrikaden, verbrennt Reifen! Nutzt alles, was Ihr zur Hand habt!", zitierte die Agentur Unian aus einer Mitteilung. Auch der Bau sogenannter Molotow-Cocktails könne helfen.
Nach Angaben des ukrainischen Gesundheitsministeriums wurden bis Samstag insgesamt 198 Zivilisten getötet. Russland bestreitet, dass zivile Einrichtungen angegriffen werden, und warf seinerseits der ukrainischen Seite den Beschuss von Wohngebieten im ostukrainischen Separatistengebiet Donbass vor.
Beide Kriegsparteien zogen Bilanzen: Das ukrainische Militär erklärte, man habe 3500 russische Soldaten getötet und 200 weitere gefangen genommen. Zudem seien 14 Flugzeuge, 8 Hubschrauber und 102 Panzer sowie mehr als 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden.
Russland meldete, es seien mehr als 800 ukrainische Militärobjekte "außer Gefecht" gesetzt worden. 14 Militärflugplätze, 19 Kommandoposten, 24 Flugabwehr-Raketensysteme vom Typ S-300 und 48 Radarstationen seien zerstört, acht Marine-Boote der Ukraine getroffen worden. Russische Truppen hätten die Kontrolle über die südostukrainische Kleinstadt Melitopol.
Diese Angaben der Kriegsparteien können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Gesicherte Informationen sind immer schwerer verfügbar. Viele westliche Journalisten haben Kiew verlassen.
Eine diplomatische Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Putin hat bereits deutlich gemacht, dass er die Führung um Selenskyj stürzen will. Eine gegen den Angriff gerichtete Resolution im UN-Sicherheitsrat scheiterte wie erwartet am Veto Moskaus. Westliche Diplomaten werteten die Abstimmung dennoch als Erfolg beim Versuch, Russland international zu isolieren. Denn China - sonst enger UN-Partner der Russen - enthielt sich.
In Deutschland kamen erste Flüchtende an, ihre Zahl war aber zunächst noch gering. Ukrainische Bürger können ohne Visum in die EU einreisen. In Polen sind nach Regierungsangaben seit Beginn der russischen Invasion 115 000 Flüchtlinge aus der Ukraine angekommen.
Rund um den Globus wird weiter aus Solidarität mit der Ukraine demonstriert. In mehreren deutschen Städten gingen Tausende auf die Straßen. In Berlin ist für Sonntag eine große Demonstration geplant.
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