24.12.2015 09:11:40
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IWH-Präsident Gropp: Flüchtlinge bedeuten kleines Konjunkturprogramm
HALLE (dpa-AFX) - Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), Reint E. Gropp, sieht im Flüchtlingszuzug eine Chance für Deutschland. Kurzfristig könnte die Arbeitslosenquote zwar leicht steigen, langfristig würden aber Arbeitskräfte dringend gebraucht, sagte er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Sie haben sich am IWH mit dem Flüchtlingszuzug beschäftigt, sind aber auch ein Experte für die USA. Wird Deutschland künftig ein Einwanderungsland wie die USA?
Antwort: Ich hoffe es. Nur um die Größenordnungen einzuordnen: Die USA haben seit zehn Jahren eine jährliche Einwanderung von rund 1,2 Millionen Menschen, sind aber auch deutlich größer als Deutschland. Bei uns sind die Zahlen viel geringer, eine Einwanderung haben wir netto aber erst seit zwei, drei Jahren. Man muss bedenken, dass Leute auch auswandern. 700 000 Menschen haben letztes Jahr Deutschland verlassen.
Frage: Über die USA sagt man oft, durch die Einwanderung steige die Wirtschaftsleistung dort im Jahr um ein Prozentpunkt mehr als in Europa. Wird es ähnliche Effekte in Deutschland geben?
Antwort: Die Zuwanderung wirkt eindeutig wie ein kleines Konjunkturprogramm. Die Flüchtlinge produzieren Staatsausgaben und sie konsumieren. Das ist aufgrund der Haushaltslage des Bundes auch nicht schlimm und stimuliert die Wirtschaft.
Frage: Und welche Auswirkungen hat das auf den Arbeitsmarkt?
Antwort: Kurzfristig wird die Arbeitslosigkeit voraussichtlich leicht steigen, aber nicht in übermäßigen Zahlen. Nach unseren Berechnungen werden kommendes Jahr durch die Flüchtlinge 130 000 oder 140 000 Menschen zusätzlich auf den Arbeitsmarkt kommen. Im Vergleich zu den zuletzt 2,6 Millionen Arbeitslosen sind das nicht so viele. Und langfristig brauchen wir die Arbeitskräfte, und die Zuwanderung kann nur gut sein für den Arbeitsmarkt.
Frage: Sie meinen damit die demografische Entwicklung?
Antwort: Wir haben tatsächlich ein riesiges Demografieproblem. Das kommt absurderweise durch die sehr geburtenstarken Jahrgänge Ende der 50er und in den 60er Jahren, die in 10 bis 20 Jahren in Rente gehen. Und weil die Jahrzehnte danach so viel geburtenschwächer waren, führt das zu enormen Veränderungen in der Relation zwischen Arbeitenden, also denen die in die Sozialkassen einzahlen und Rentnern und Kindern, die aus ihnen Gelder abziehen.
Frage: Und die Flüchtlinge können das lösen?
Antwort: Die demografische Entwicklung ist so negativ, dass noch nicht einmal eine Million Einwanderer pro Jahr das auffangen würden. Es kann immer nur darum gehen, die Effekte des demografischen Wandels abzufedern, aufhalten lässt er sich nicht. Die Flüchtlinge von heute sind daher eine Chance, weil sie genau dann für den Arbeitsmarkt bereit stehen werden, wenn sie gebraucht werden.
Frage: Gibt es eine wirtschaftliche Grenze der Integrationsfähigkeit?
Antwort: Ich glaube, das hängt davon ab, wie man mit Einwanderern umgeht. Fehler Nummer eins ist, den Menschen Steine in den Weg zu legen, wenn sie in den Arbeitsmarkt eintreten wollen. Der Arbeitsmarkt ist die wichtigste Integrationskraft, dort werden sie am leichtesten die Sprache lernen, Freunde finden und die Kultur ihres Gastlandes verstehen lernen. Formale Voraussetzungen wie etwa eine abgeschlossene Lehre oder sogar der Meisterbrief für die Gründung eines Handwerksbetriebs sind derzeit in Deutschland oft sehr hoch. Das erschwert den Eintritt von Flüchtlingen in bestimmte Berufe. Ich wäre dafür, hier flexibler zu werden und die Eintrittshürden zu senken.
Frage: Spielt der Mindestlohn eine Rolle?
Antwort: Der Mindestlohn ist eine Hürde für den Eintritt von Berufsanfängern im Allgemeinen und kann daher auch den Berufseintritt von Flüchtlingen erschweren. Dass wir den Mindestlohn genau in dem Moment eingeführt haben, wo so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, war unglücklich. Aber das ist jetzt zu spät. Man könnte den Mindestlohn für alle aussetzen, aber ich halte nichts davon, ihn nur für Flüchtlinge auszusetzen. Das würde Flüchtlinge und einheimische Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen und zu Konflikten führen.
Frage: Es wird auch viel darüber diskutiert, wo Flüchtlinge am besten unterkommen.
Antwort: Man könnte argumentieren, Flüchtlinge sollten vor allem dorthin gehen, wo Mieten niedrig sind und es leerstehende Wohnungen gibt. Dort sind die Unterbringungskosten am niedrigsten. Aber das Gegenteil ist wahrscheinlich richtig. Man sollte sie dort unterbringen, wo die Arbeitslosigkeit am niedrigsten ist. Und das ist dann zum Beispiel eher Frankfurt/Main als Halle.
ZUR PERSON: Reint E. Gropp hat Volkswirtschaftslehre in Freiburg und an der University of Wisconsin in Madison in den USA studiert. 1994 schloss er dort seine Promotion ab. Vor seinem Amtsantritt am IWH im November 2014 war er Professor in Frankfurt/Main. Davor arbeitete er für den Internationalen Währungsfonds und die Europäische Zentralbank. An der Uni Magdeburg hat er einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre./rgo/DP/jsl
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