11.06.2009 16:48:00

INTERVIEW: Wirtschaftsweiser Bofinger will EZB-Leitzins von 0%

Von Andreas Kißler Dow Jones NEWSWIRES BERLIN (Dow Jones)--Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat die Europäische Zentralbank (EZB) dazu aufgefordert, ihren Leitzins wegen der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise auf 0% zu senken. "Null wäre das angemessene Leitzinsniveau", sagte Bofinger am Donnerstag in einem Interview mit Dow Jones Newswires in Berlin. "Man muss fragen, wie schlecht muss eigentlich die Konjunktur im Euroraum noch laufen, damit die EZB wirklich die Spielräume nutzt", sagte das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR).

   Bofinger warnte vor deflationären Tendenzen und widersprach im Gegenzug Befürchtungen, die Inflation könne wegen der erhöhten Liquidität kurzfristig wieder zu einer Gefahr werden. "Ich würde sagen, dass die Deflationsgefahren zehn Mal so groß sind wie die Inflationsgefahren", erklärte er und betonte, es gebe "viele Faktoren, die deflationär wirken".

   Darunter nannte der Wirtschaftsweise auch die Entwicklung des Euro-Wechselkurses. "Wir haben einen Aufwertungstrend des Euro, der sich wahrscheinlich noch verstärken wird", warnte Bofinger. Risikofaktoren seien auch die steigende Arbeitslosigkeit, in vielen Unternehmen vereinbarte Lohnsenkungen und die zunehmende Kurzarbeit, "die ja auch die Kaufkraft beeinträchtigt". Für drohende Inflationsgefahren sah er hingegen "nicht die geringsten Indizien". Die Geldmengenentwicklung sei eher verhalten und werde "auch in nächster Zeit verhalten sein", denn sie werde durch die Kreditentwicklung getrieben. Bofinger warf der EZB vor, unmittelbar nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers "krisenverstärkend" agiert zu haben, und sagte, auch jetzt sei die Politik der Notenbank "nicht sehr positiv" zu bewerten.

   "Die Fehler der EZB fingen im Juli letzten Jahres an, als sie die Zinsen noch einmal erhöht hat", sagte er und nannte es "fatal", dass die Notenbank es zugelassen habe, dass die Zinsen für Zentralbankgeld nach dem Lehman-Ende durch das praktizierte Auktionsverfahren noch gestiegen seien. "Da hat die EZB wirklich schwere Fehler gemacht und auch krisenverstärkend gewirkt in einer problematischen Phase". Auch gegenwärtig sei es "problematisch, dass die EZB nach wie vor die Zinsen nicht weiter senkt".

   Die EZB könnte nach einer eventuellen Wirtschaftsbelebung die erhöhte Liquiditätrasch wieder zurückführen, betonte der Wirtschaftsweise. Man kann, wenn Inflationsentwicklungen kommen, sehr schnell geldpolitisch reagieren", meinte er. Vor allem könne ein großer Teil der Kreditvergabe, die im Rahmen des neuen Instruments des Anleiheaufkaufs erfolge, "in kürzester Zeit" zurückgeführt werden, denn was die EZB den Banken derzeit zusätzlich gebe, entspreche in etwa einem Hauptrefinanzierungsgeschäft. "Das heißt, sie muss nur ein Hauptrefinanzierungsgeschäft ausfallen lassen, und es ist wieder weg".

   Zudem sprach sich Bofinger für eine Abschaffung der Abgeltungsteuer aus, um einer erhöhten Sparneigung in der Bevölkerung entgegenzuwirken. "Die beste Maßnahme zur Konjunkturbelebung ist, dass man die Abgeltungsteuer abschafft", erklärte er. Mit Blick auf Riester-Förderung, Rürup-Förderung oder Entgeltumwandlung sei zudem zumindest für Arbeitnehmer mit höherem Einkommen zu fragen, ob es richtig sei, "dass wir das in einer Zeit, in der der Staat kein Geld hat, subventionieren". Bofinger schlug stattdessen vor, wieder die Eigenheimzulage einzuführen.

   Generell werde es künftig darauf ankommen, wieder mehr Wachstum aus Deutschland selbst zu generieren. "Es ist das Grundproblem, dass in Deutschland die Vorstellung vorherrscht, dass wir doch wieder ein exportgetriebenes Wachstum haben werden", erklärte der Wirtschaftsprofessor. Die starke Verschuldungsneigung, auf der das bisher auslandsgetriebene Wachstum basiert habe, sei nämlich "nicht mehr da, und deswegen wird man sich fragen müssen, wo die Wachstumsdynamik herkommt." Setze man weiter auf ein exportgetriebenes Wachstum, sei dies "so ein bisschen die Strategie des Wartens auf Godot".

-Von Andreas Kißler, Dow Jones Newswires, +49 (0)30 - 2888 4118, andreas.kissler@dowjones.com DJG/ank/ptt Besuchen Sie auch unsere Webseite http://www.dowjones.de (END) Dow Jones Newswires

   June 11, 2009 10:15 ET (14:15 GMT)

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