09.08.2009 11:36:00

HINTERGRUND: August 2007 - Der Kampf der EZB gegen die Finanzkrise beginnt

    FRANKFURT (dpa-AFX) - Vor genau zwei Jahren kam die Finanzkrise für die Weltöffentlichkeit erstmals mit ihrer ganzen Wucht zum Vorschein. Die Europäische Zentralbank (EZB) pumpte am 9. August 2007 in bis dahin nicht gekanntem Umfang Liquidität in den Markt. Damit war die EZB die erste Notenbank, die auf die Krise reagierte. Der Geldhandel zwischen den Banken in der Eurozone war zusammengebrochen, da diese sich nicht mehr untereinander trauten. Damit war die vom US-Hypothekenmarkt ausgegangene Finanzkrise endgültig auch in Europa angekommen. Es bestand die Gefahr, dass die Geldversorgung der Wirtschaft zusammenbrach. Ohne das entschlossene Handeln wäre laut Volkswirten eine ähnlich dramatische Entwicklung wie während der Weltwirtschaftskrise 1929/30 möglich gewesen.

    "Die EZB hat hier schneller als die Bank of England oder die Federal Reserve die Brisanz der Lage erkannt und umfassend gehandelt", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Auch Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, sieht die Rolle der EZB positiv: Sie habe ihren Auftrag "in vorbildlicher Manier" erfüllt. Gerade zu Beginn hat die EZB aus Sicht der Experten damit entschieden und entschlossen reagiert. Die britische Notenbank hingegen zögerte noch, bis sie ähnliche Maßnahmen ergriff. Der Gouverneur der Bank von England (BoE), Mervyn King, machte der EZB gar den Vorwurf, den Märkten übermäßig viel Liquidität zur Verfügung zu stellen. Nachdem King am 13. September diese Kritik geäußert hatte, griff die BoE am folgenden Tag direkt der Hypothekenbank Northern Rock unter die Arme. Durch diese inkonsistente Politik geriet das Ansehen der BoE unter Druck.

ÜBERFLÜSSIGE ZINSERHÖHUNG

    Die EZB versorgte auch im weiteren Verlauf die Märkte umfangreich mit Liquidität. Während viele Volkswirte der Zentralbank bei der Durchführung dieser Geschäfte eine gute Note ausstellen, fand die Zinspolitik im weiteren Verlauf der Krise nicht einen so ungeteilten Beifall. Als einzige Fehlentscheidung bezeichneten die Volkswirte die Leitzinsanhebung am 3. Juli 2008. Die EZB hatte damals trotz der immer noch schwelenden Finanzkrise wegen gestiegener Inflationsgefahren den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent angehoben. Sie reagierte damit auf die über 4 Prozent gestiegene Jahresinflationsrate.

    "Die Anhebung des Leitzinses war der einzige größere Fehler der EZB während der Finanzkrise", sagte Hellmeyer. Die EZB hat hier auf die Inflationsrate geschaut, die sehr stark durch die Energiepreise getrieben worden sei. Laut DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater hat man sich der Illusion hingegeben, dass die Finanzmarktkrise bereits eingedämmt worden sei. Diese Einschätzung sei damals "von vielen Marktakteuren geteilt" worden. Dies zeigten auch die damals noch sehr hohen Aktienkurse, sagte Kater. Durch die Zinserhöhung sei der Verlauf der Finanzkrise allerdings insgesamt kaum negativ beeinflusst worden, da die EZB den Schritt rasch korrigiert habe. Commerzbank-Experte Krämer sieht sogar positive Folgen der Entscheidung: "Die Zinserhöhung ist zwar im nachhinein stark kritisiert worden, es war aber auch eine Investition in die Glaubwürdigkeit." Die Notenbank habe hier deutlich gemacht, dass sie die Inflationserwartungen nicht aus dem Ruder laufen lasse. Die EZB habe sich damit auch für die Zukunft eine hohe Glaubwürdigkeit erworben.

HISTORISCH BEISPIELLOSE ZINSSENKUNGEN

    Nach dem überraschenden Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 spitzte sich die Finanzkrise dramatisch zu und bedroht seither auch die Realwirtschaft. Die EZB reduzierte daraufhin ihren Leitzins mit Rekordtempo beginnend am 8. Oktober 2008 um insgesamt 3,25 Prozentpunkte. Seit dem 7. Mai 2009 liegt der Leitzins auf dem historischen Tiefstand von 1,0 Prozent. Aufgrund der umfangreichen Liquiditätsmaßnahmen der EZB liegt der tatsächliche Zinssatz an den Geldmärkten sogar noch deutlich unter diesem Wert. "Die starken Zinssenkungen und die zusätzlichen Liquiditätsmaßnahmen waren notwendig, um den Lehman-Schock zu bewältigen und eine Weltwirtschaftskrise wie 1929/30 zu verhindern", sagte Krämer.

    "Für eine abschließende Bewertung der Geldpolitik der EZB in der Krise ist es noch zu früh", sagte Krämer. "Den ersten Teil ihrer Aufgabe hat sie gut gemeistert". Jetzt müssten die Notenbanken jedoch auch den zweiten Teil ihrer schwierigen Aufgabe noch erfüllen und den richtigen Zeitpunkt für eine Rücknahme der expansiven Geldpolitik finden. Die EZB müsse in der Zukunft noch stärker auf die Entwicklung der Kreditaggregate achten. "Das gilt allerdings noch in einem viel stärkeren Umfang für die US-Notenbank", sagte Krämer.

AUFARBEITUNG NÖTIG

    Auch Kater fordert: "Die EZB muss die Krise wissenschaftlich aufarbeiten und eine Diskussion über die Konsequenzen anstoßen." Sie dürfe aber keine kurzfristigen Konzepte auf den Tisch bringen. Sinnvoll sei eine "symmetrischere" Geldpolitik. In Abschwungphasen hätten die Notenbanken ihre Zinsen oft sehr schnell und stark gesenkt, aber in Aufschwungphasen nur sehr zögerlich wieder angehoben. "Hier muss die EZB in der Zukunft energischer handeln, um künftige Krisen zu vermeiden. Diese veränderte Geldpolitik muss auch durch harte Regeln untermauert werden."

    Bei einer konjunkturellen Erholung wird die EZB laut Hellmeyer rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, um auch bei einer konjunkturellen Erholung Preisstabilität zu gewährleisten. Die EZB sei  die einzige große Notenbank, die sich wirklich als frei bezeichnen könne. "Bei der US-Notenbank, der Bank von England und der Bank von Japan steht die Unabhängigkeit nur auf dem Papier", sagte Hellmeyer. Die EZB dürfte ihrem Stabilitätsauftrag gemäß ihren Leitzins noch vor der US-Notenbank bereits im ersten Quartal des kommenden Jahres anheben. Um künftige Finanzkrisen zu verhindern, muss die EZB Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten rechtzeitig und mutiger benennen, fordert Hellmeyer./js/jha/sk/tw

    ---Von Jürgen Sabel, dpa-AFX ---

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