Eurokrise 09.12.2012 12:00:00

Großbritannien: Vom Regen in die Traufe

Mit Großbritannien und der EU ist es wie mit den meisten Familien: Sie streiten, aber sie wissen, dass sie ­zusammenhalten müssen. Die EU braucht die wirtschaftliche Kraft Großbritannien, reformorientierte EU-Mitglieder benötigen britische Unterstützung, um die EU flexibler zu machen. Und auch die Briten brauchen die EU.

Die Stabilität der Eurozone ist für sie sogar von grundlegender Bedeutung. Etwa die Hälfte der britischen Exporte geht nach Europa, viele britische Unternehmen tätigen einen großen Anteil ihres Geschäfts mit Firmen in der Eurozone. Das britische Finanzzentrum — die Londoner City — ist eng mit allen wichtigen Finanzzentren auf dem Kontinent verbunden. Doch der Weg zu einer krisensichereren Architektur der Eurozone offenbart ein britisches Dilemma: Rücken die Kontinentaleuropäer enger zusammen, vergrößert das den Abstand zwischen ihnen und der Insel.

Die Sorgen der City und der Downing Street
Es ist keine Überraschung, dass die Spannungen zwischen der EU und Großbritannien im Sommer zunahmen. Damals wuchsen die Sorgen über einen Zahlungsausfall Griechenlands und das Ausmaß der Unterstützung, die Spanien und Italien benötigten. Nach der Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi, es werde alles unternommen, um den Euro zu schützen, war daher in ganz London ein Aufatmen zu vernehmen: Es gab jetzt ein Auffangnetz für Käufer von Anleihen aus Krisenstaaten der Eurozone.

Die britische Regierung erkannte aber schnell, dass dieser Schritt neue Probleme mit sich bringt. Der Weg zu einer europäischen Bankenunion bedroht ein Standbein der britischen Wirtschaft, die Finanzindustrie. Es ist wichtig, Bankenrisiken zu regulieren und deren Verbindung zu den Staatshaushalten aufzulösen. Jedoch ist die City besorgt, dass dies neue Regulierungen nach sich ziehen könnte, welche die Profitabilität der Banken bedrohen würden. Diese Sorgen bewegen nicht nur Großbritannien, sondern auch andere Länder außerhalb der Währungsunion, beispielsweise Schweden oder Polen.

Dennoch war es für die Downing Street — Amtssitz des Premiers David Cameron und seines Schatzkanzlers James Osborne — wichtig, dass sich die Eurozone aus der Krise arbeitet. Das Britische Pfund und die britischen Anleihen wurden 2011 und 2012 wegen der Eurosorgen als sicherer Hafen betrachtet, es flossen Unmengen an Kapital auf die Insel. Die Aufwertung des Pfunds war für die britische Wirtschaft ein Nackenschlag. Die Regierung hatte vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Stagnation und historisch hoher Arbeitslosigkeit ein Wachstumsprogramm initiiert. Dieses sollte den Schwerpunkt weg von Finanzdienstleistungen und Konsum hin zu Industrieproduktion, breiteren Dienstleistungen und Exporten verlagern. Das teure Pfund machte britische Exporte aber weniger wettbewerbsfähig. Das beeinträchtigte die Konjunkturerholung und die wirtschaftliche Neuausrichtung. Die britische Regierung befindet sich in einer schwierigen Situation. In Meinungsumfragen ist sie zurückgefallen, was in der Mitte einer Legislaturperiode keine Überraschung ist. Jedoch verliert sie Wähler an das linke und das rechte Lager, besonders an die UK Independence Party, die einen EU-Austritt Großbritanniens anstrebt.

Das britische Dilemma
Großbritannien steht nun vor dem Dilemma, dass sich die Eurozone neu erfindet: Sie ist keine Gruppe von Staaten mehr, die einfache Steuer­regeln vereinbart hat und eine gemeinsame Währung besitzt. Deutschland ist der größte Zahlmeister der Eurozone und postuliert, dass ein ­erfolgreiches Europa grundlegende Regeländerungen voraussetzt. Wenn dieser Prozess des Wandels erfolgreich ist, wird sich ein enger verbundener, regionaler Block entwickeln, auf den weder Großbritannien noch Norwegen, Polen, Schweden oder die Schweiz großen Einfluss haben. Auf der einen Seite hilft die Lösung der Probleme in der Eurozone der britischen Wirtschaft aus ihren Schwierigkeiten. Wird die Eurozone jedoch zu stark integriert, wird sie für Teile der britischen Wählerschaft politisch weniger attraktiv.

Großbritannien wird dennoch weiter ein Teil Europas bleiben. Was die geplatzten Verhandlungen über den EU-Haushalt anbelangt: In einer Zeit, in der Sparpakete in ganz Europa auf der ­Tagesordnung stehen, ist es schwer, Wähler zu überzeugen, dass eine Erhöhung der Ausgaben gerechtfertigt ist. Die politischen Spannungen mögen also zu- und abnehmen, aber die wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen bleiben stark. Über London wird inzwischen sogar berichtet, dass es die Stadt mit der sechstgrößten französischen Bevölkerung ist.

zur Person:

Der Ökonom und Wirtschafts­historiker Andrew Milligan ist
Chefstratege von Standard Life Investments

. Der Investmentarm des britischen Versicherers Standard Life verwaltet knapp 200 Milliarden Euro und zählt zu Europas größten Investmenthäusern.

von Andrew Milligan, Gastautor von Euro am Sonntag

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